Der Preis für Kuhmilch ist so tief gesunken, dass zahlreiche der rund 31.000 Milchlieferbetriebe in Österreich vor enormen Problemen stehen. Die Politik soll eine Lösung finden. Ein genauerer Blick zeigt: Es geht nicht nur um Geld – und wir als Konsumenten könnten auch einen wichtigen Beitrag leisten.
Ausgabe: 2016/23
07.06.2016
Von der Milch allein kann man derzeit nicht leben“, sagt Elmar Monz. Der Bergbauer aus der Tiroler Gemeinde Nauders (Bezirk Landeck) bewirtschaftet auf 1400 Meter einen Hof mit 30 Milchkühen. Bei normaler Milch sei ein Netto-Preis von unter 40 Cent je Kilogramm nicht kostendeckend, im Fall von Biomilch, wie er sie erzeugt, liege die Marke bei 50 Cent, sagt Monz. „Wir bekommen aktuell 39 Cent netto: Der Preis für normale Milch liegt bei 27 Cent, dazu kommen 12 Cent Bio-Zulage“, erklärt der Tiroler. Da die Bio-Produktion teurer als normale Erzeugung sei, bleibe dem Biobauern nicht mehr als einem Bauern, der nicht auf Bio-Basis produziert. Konkret bedeutet das für Monz derzeit Einsparungen, wo es geht, und keine Investitionen. Das zweite Standbein seiner Familie sind Ferienwohnungen. Dazu kommen 200 Legehühner. Aber eine Alternative zur Milchproduktion sieht Monz nicht: „Die Umstellung auf Zucht oder Fleischproduktion kostet Geld und die Lage in diesen Bereichen ist nicht viel besser“, sagt er. Eine Zeit lang könne man versuchen, am Hof insgesamt kein Defizit zu erwirtschaften. Aber bleibe der Milchpreis so schlecht, fürchte er in seiner Region ein Bauernsterben, das fremdverschuldet ist: „Denn wir hier bei uns produzieren praktisch keinen Überschuss“, sagt Monz.
Der Markt
Der Überschuss in Europa ist nämlich der Grund für den Preisverfall: Im April 2015 lief die EU-Quotenregelung für Milch aus. Länder wie Irland, die Niederlande oder Belgien steigerten ihre Produktion massiv (siehe Text rechts oben) in der Hoffnung auf Nachfrage in Asien. Nur kam es nicht zu diesem Nachfrageboom und die russischen Importsperren infolge der EU-Sanktionen kamen dazu. Fazit: Das Milchangebot ist viel größer als die Nachfrage, der Preis ist niedrig. Diese simple Anwendung der Marktfunktionen ist für den Linzer Moraltheologen Michael Rosenberger aber ein Problem: „Lebensmittel wie Milch haben eine hohe Verderblichkeit. Der Landwirt kann sie nicht einfach speichern und später zu einem besseren Preis verkaufen. Auch der Konsument kann nicht sagen, er kauft frische Lebensmittel erst in einer Woche, wenn sie günstig sind, und fastet so lange. Beide stehen vor Zwängen, die es bei anderen Produkten nicht gibt.“ Eine Milchpreisbindung würde Rosenberger zwar nicht völlig ausschließen, nur wäre diese für ihn wieder ein sehr starker Eingriff in die Spielregeln des Marktes. Was kann man also tun? Der Theologe sieht zwei Ansätze. Der erste betrifft eine bessere Unterstützung der EU für die Landwirte. Den zum Teil negativ gedeuteten Begriff „Förderung“ will er vermeiden. Es geht ihm auch nicht um Geld pro Menge Milch, sondern um ein Entgelt für ökologische und landschaftspflegerische Leistungen der Bauern an der Allgemeinheit, das sich nicht auf den Milch- oder Getreidepreis aufschlagen lässt. Würden Äcker und Wiesen nicht gepflegt, sähe unser Land völlig anders aus und wäre vor allem auch ökologisch ärmer, etwa in der Artenvielfalt. Dass sachkundige Almwirtschaft Schutz vor Naturgefahren (Lawinen, Muren ...) bietet, ist bekannt. Auch Bergbauer Elmar Monz bringt den Großteil seines Viehs im Sommer auf die Alm. Die aktuelle Preis-Situation bringe die Almwirtschaft freilich in ein großes Problem, sagt er. Die zweite Überlegung des Theologen Michael Rosenberger setzt beim Konsumenten, also bei uns allen an: „Gerade in den deutschsprachigen EU-Ländern wird der Preiskampf in den Supermärkten gnadenlos geführt. Sehr viele von uns reagieren offenbar immer noch auf jeden Cent, den die Milch in einem Geschäft billiger ist. Muss das wirklich sein? Trotz niedriger Gehälter geben italienische Haushalte fast das Doppelte für Ernährung aus. Ein sehr großer Teil der Österreicher/innen könnte meines Erachtens etwas mehr Geld für gute Lebensmittel in die Hand nehmen. Bei einem teuren Extra im Autos sind viele von uns schnell bereit, tief in die Tasche zu greifen. Aber bei qualitätsvollen Lebensmitteln knausern wir. Da stimmt das Verhältnis nicht.“
Zeit und Geld
Michael Rosenberger spricht in diesem Zusammenhang nicht nur über Geld, sondern auch über Zeit: „Studien zeigen, dass der Einkauf von Lebensmitteln für die meisten Menschen so schnell wie möglich vonstattengehen soll. Kaufen wir dagegen Kleidung oder Elektronik ein, zelebrieren wir die Einkäufe. Dabei hätte der stressfreie Lebensmitteleinkauf zum Beispiel am Bauernmarkt Erlebniswert und Genuss-Charakter. Es wäre gut, wenn wir diese Lebensqualität auch entdecken könnten“, sagt der Theologe. Elmar Monz sieht Verständnis für die Anliegen der Milchbauern bei den Konsumenten: Am „Tag der Milch“ vergangene Woche hat er bei einer Informationskampagne des Tiroler Bauernbunds mitgewirkt: „90 Prozent der Menschen, mit denen wir gesprochen haben, sagten: Wir würden auch mehr für die Milch zahlen, wenn der Preis bei den Bauern ankommt“, berichtet Monz. Als ersten Schritt begrüßt er Fördermaßnahmen, wie sie die Tiroler Landesregierung zum Beispiel jetzt beschlossen hat. Insgesamt besser fände er es freilich, „wenn es einen gerechten Preis für ein wertvolles Produkt gibt“.
„Eigenes Klima“
Auch die Landwirtschaftskammer Österreich hofft in Bezug auf den Preis auf ein „eigenes Klima“ in Österreich, wenn sich Produzenten, Handel, Konsumenten und Politik beim Milchgipfel von Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter am 14. Juni in Wien treffen. Dass es angesichts eines globalen Milchmarktes mit Einigkeit in Österreich allein aber nicht getan sein wird und eine Lösung auf EU-Ebene gefordert ist, sagten die Landwirtschaftskammer, Bergbauer Elmar Monz und Moraltheologe Michael Rosenberger gleichermaßen.
Preise und Produktion
Im April wurden in Österreich laut dem AMA-Marktbericht durchschnittlich 30,78 Cent pro Kilo Milch (4,2 Prozent Fett und 3,4 Prozent Eiweiß) gezahlt. Es wurde davon ausgegangen, dass der Preis im Mai darunter liegt. Grund ist die seit Anfang 2015 wegen des Endes der EU-Milchkontingente gestiegene Milchproduktion, wobei Österreich mit plus 5,3 Prozent unter dem EU-Schnitt (plus 5,6 Prozent) lag. In Irland waren es laut Österreichs Lebensministerium plus 19,5 Prozent, in Belgien plus 17,2 Prozent und in den Niederlanden plus 15,5 Prozent.
Wandel
Österreichs Milchwirtschaft hat sich stark gewandelt: 2014 gab es 31.500 milchliefernde Betriebe, im Jahr 2000 waren es 58.400 gewesen und 1960 rund 226.200). 2014 hatte ein Betrieb im Durchschnitt 17 Kühe, 1960 fünf. Die durchschnittliche jährliche Milchproduktion einer Kuh lag 1960 bei 2515 Kilogramm, heute liegt sie bei 6542 Kilogramm (Quelle: Grüner Bericht 2015).