BRIEF_KASTEN
Die 69. Ausgabe des internationalen Filmfestivals von Locarno besinnt sich auf eine Tradition, für die der Ort mit der größten Freiluftbühne weltweit geschätzt wird. Im Gegensatz zu den renommierten Filmschauen in Cannes, Venedig und Berlin wagen die Programmgestalter in der kleinen Stadt am Ufer des Lago Maggiore mehr. Hier kann man noch Entdeckungen machen, weil in den beiden Wettbewerben sehr häufig Debütfilme von unbekannten Regisseuren aus allen Erdteilen präsentiert werden. Viele der heuer vorgestellten Filme würden nach Aussage von Festivaldirektor Carlo Chatrian dem Phänomen der Abschottung und Verbarrikadierung mit Erzählungen antworten, die die Menschen in fast rastloser Bewegung zeigen. In Anspielung auf einen Filmtitel des unlängst verstorbenen iranischen Filmemachers Abbas Kiarostami, dem die diesjährige Festivalausgabe gewidmet ist, hat Chatrian den Wind, der Grenzen überwindet, Menschen an- und vertreibt, aber auch verbindet, zum Motto gewählt.
Im Hauptwettbewerb konkurrieren 17 Werke um den Goldenen Leoparden. Bemerkenswert ist, dass nicht weniger als acht Filme von Frauen verantwortet werden. Auch in dieser Hinsicht geht Locarno andere Wege wie die angesprochenen Festivals. Österreich ist mit einer italienischen Co-Produktion vertreten. Mit ihrem neuen Film „Mister Universo“ ergänzen Tizza Covi und Rainer Frimmel ihre ungewöhnliche Porträtsammlung von Menschen aus dem Umfeld des Zirkuslebens um zwei außerordentliche Menschen: einen Löwenbändiger und einen 88-jährigen Ex-Bodybuilder. In eine ähnliche Richtung bewegt sich der aus Chisinau stammende und in Wien lebende Pavel Cuzuioc in „Secondo me“, in dem er drei Garderobenfrauen in drei europäischen Opernhäusern (Wien, Mailand und Odessa) bei ihrer Arbeit, aber auch im Privatleben begleitet. Gespannt sein kann man auch auf das dokumentarische Porträt „Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte…“ der deutschen Dokumentaristin Corinna Belz, die versucht, die Stimme des Schriftstellers, aber auch die Schriftzeichen aus seinen Werken in eine Bildsprache zu bringen, die einen anderen Zugang zur Welt dieses ungewöhnlichen Autors ermöglicht.
Auch die Retrospektive und die Verleihung des Ehrenleoparden entsprechen den Ansprüchen eines Festivals abseits der üblichen Pfade: In einer umfangreichen Werkschau wird der westdeutsche Film der Nachkriegszeit in exemplarischen Beispielen präsentiert, ein bisher vernachlässigter Bereich der Filmgeschichte. Der Exzentriker Alejandro Jodorowsky bekommt den Ehrenpreis für sein Gesamtschaffen, das nicht nur filmische Werke umfasst.
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