Lebensspuren von Rudolf Vrba, der dem Todeslager Auschwitz-Birkenau entkam
Ausgabe: 2006/18, Auschwitz, Birkenau, Vrba, Rudolf Vrba, Alfred Wetzler, Tapferkeit, NS-Zeit, SS, Hitler, Juden, Antisemitismus
03.05.2006 - Kirchenzeitung der Diözese Linz
Fotos Auschwitz-Birkenau: Franz M. Glaser (2005)
Vrba und Wetzler warnten 1944 mit ihrem Bericht über das Todeslager Auschwitz-Birkenau, aus dem ihnen die Flucht geglückt war: Die Nazis wollen die ungarischen Juden vernichten! – Die Alliierten reagierten kaum. Rudolf Vrba starb heuer am 27. März. Die KirchenZeitung ging, geführt von seinem Großcousin Prof. Helmut Paul, Lebensspuren von Rudolf Vrba nach.
ERNST GANSINGER
Schon mit 15 Jahren hat Walter Rosenberg den Antisemitismus drastisch zu spüren bekommen: Er ist vom Gymnasium in Bratislava ausgeschlossen worden. Warum er, 1924 in Topolcany in der Slowakei geboren, 1945 nachdem die Slowakei befreit war, seinen Namen auf Rudolf Vrba geändert hat, ist unbekannt. Vrba bedeutet Weide, und er wählte den Namen als Partisan.
Auschwitz
1942 wurde Walter Rosenberg verhaftet, ins Konzentrationslager Majdanek deportiert und schließlich am 30. Juni nach Auschwitz überstellt. Am 10. April 1944 gelang ihm mit Alfred Wetzler die Flucht aus Auschwitz-Birkenau. Bei Erweiterungsarbeiten des Konzentrationslagers, außerhalb der Kernzone, aber innerhalb des Lagergeländes, konnten sie sich in einem Holzstoß drei Tage lang verstecken. Drei Tage lang suchte die SS mit Hundestaffeln nach den Flüchtlingen. Diese hatten von russischen Gefangenen gelernt, dass eine „Imprägnierung“ des Verstecks mit einem Gemisch aus starkem Tabak und Benzin die Hunde abhalten könnte, ihre Spur aufzunehmen. Und sie wussten, dass nach drei Tagen die Suche eingestellt werde. Den ersten Fluchtteil überstanden sie so in unfassbarer Anspannung. Vor kurzem hat Helmut Paul an Exerzitien auf den Spuren der hl. Edith Stein teilgenommen. Sie wurde auch 1942 (August) nach Auschwitz-Birkenau deportiert und sofort ermordet ... Zur etwa gleichen Zeit, daran musste er denken, hat seine Urgroßmutter das gleiche Schicksal am gleichen Ort erlitten ...
Flucht und Anliegen
Wetzler und Rosenberg haben sich von Auschwitz in die Slowakei durchgeschlagen, wo sie ein Bauer aufgenommen hat. Unter dem Pseudonym Vrba verfasste er mit Wetzler den Auschwitz-Bericht mit einer detaillierten Geografie des Lagers und der Schilderung der Methode des Massenmordes. Sie wollten, dass die Welt gegen die Vernichtungsmaschinerei der Nazis einschreitet. Ihre Enttäuschung war groß, weil ihr Bericht wenig bewirkte. Er wurde zwar in der Schweiz publiziert und ist bis in die USA gekommen. Vrba hat sich auch vorgestellt, dass die ungarischen Juden, sind sie erst einmal informiert, was die Nationalsozialisten vorhaben, den Aufstand wagen. Aber es dauerte noch hunderttausende Tote lang.
Und dann das Unvorstellbare
Der ungarische Reichsverweser Admiral Horthy hat, nachdem zwischen 2. Mai und 9. Juli 1944 fast 440.000 Juden aus Ungarn nach Auschwitz transportiert und 300.000 getötet worden sind, im Juli 1944 diese Transporte untersagt. War es der Druck des Auslands? Sicher war es auch die Tatsache, dass die Rote Armee vor Ungarn stand. Etwa 100.000 ungarische Juden hat es das Leben gerettet. Ein später Erfolg für Vrbas und Wetzlers Tapferkeit, die daran gewiss Anteil haben. Es gab die Geretteten und es gab die wie durch ein Wunder Überlebenden. Aber es waren wenige. Vrbas Mutter gehörte dazu. Sie hat mit Zähigkeit und Lebenswillen Theresienstadt überlebt.
Späte Würdigung, späte Erinnerungspflege
Nicht nur die Nachfolgestaaten der Täter hatten Schwierigkeiten im Umgang mit den Opfern. So schwieg Israel Rudolf Vrbas heldenhaften Einsatz 35 Jahre lang tot. Warum? – Vielleicht, weil sich Staaten leichter mit Helden tun, die für ihre Idee gestorben sind, als mit Überlebenden. Vielleicht, weil Rudolf Vrba kein Zionist war. Spät hat Vrba eine israelische Ehrenprofessur bekommen. Spät wurde er in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eingetragen.
Leben mit Brüchen
Das Leben Vrbas wie Wetzlers ging mit Brüchen weiter. Rudolf Vrba schloss sich den Partisanen an, nahm dann 1945 offiziell den Namen Rudolf Vrba an, studierte, wurde Ingenieur und Wissenschaftler. 1958 kehrte er von einem wissenschaftlichen Aufenthalt in Israel nicht mehr in die kommunistische Tschechoslowakei zurück. Über Stationen in Israel und England kam er nach Kanada, wo er an der University of British Columbia in Vancouver Pharmakologie lehrte. Die Chemie des Gehirns, Diabetes und Krebs waren seine Spezialgebiete. SeineAuschwitz-Erinnerungen schrieb er 1964 nieder. Das Buch heißt in der Neuauflage 1999 (Verlag Piper) „Als Kanada in Auschwitz lag“. – Kanada! – wie seine neue Heimat wurde auch das Effektenlager in Auschwitz genannt, in dem er eingesetzt war. Alfred Wetzler ist der kommunistischen Partei der CSSR beigetreten, wurde inhaftiert, rehabilitiert ... Er starb 1987.
Umgang mit dem Vergangenen
Erinnerungspflege, die NS-Zeit betreffend, ist eine junge Tugend. Aber sie nimmt, 61 Jahre nach der Befreiung, zu. Auch die Rieder Serie „Kirche und NS-Zeit“ ist dafür ein Beispiel, ebenso das Projekt „Erinnern für die Zukunft. Schwanenstadt 1933 bis 1945“. Genauso das neue Buch über den von den Nazis verfolgten Pfarrer Just, das jüngst in Ottensheim vorgestellt wurde (Justus Just, Aus der Reihe gedrängt, 360 Seiten, Euro 21,40).