Ausgabe: 2006/21, Harrant, Streit, Kommunikation, Lisa
24.05.2006
- Kirchenzeitung der Diözese Linz
Fallbeispiel: Jahrelang hat Lisa, sie ist seit acht Jahren verheiratet, die Unstimmigkeiten hingenommen. Sie kann heute nicht einmal sagen, was es im Detail immer war. Es waren fast nur Kleinigkeiten, für die es sich anscheinend nicht lohnte, einzutreten. Das Ergebnis ist nun, dass sich Lisa und Alois immer mehr auseinander lebten. Neben dem mangelnden Interesse am Alltag des anderen, der für Lisa vor allem durch die Haushaltsarbeit und die drei Kinder und bei Alois von der Erwerbsarbeit bestimmt ist, hat sich jüngst auch Unehrlichkeit und Misstrauen eingeschlichen. Alois hat Lisa gesagt, dass er einen beruflichen Termin habe und ihr deshalb am frühen Abend nicht die Kinder abnehmen könne. Tatsächlich war er aber nach der Arbeit bei einem Freund, der ihm für sein Hobby Interessantes zu erzählen wusste. Lisa ist per Zufall draufgekommen, und es gab den ersten großen Streit.
Ohne Kommunikation lebt man aneinander vorbei – oft kommen die Partner erst durch einen Streit wieder ins Gespräch.
Dieser Streit könnte ein Schlüssel sein, die „Beziehungskiste“ zu öffnen. Wenn auch die meisten Menschen Streiten als unangenehm empfinden, ist es dennoch wichtig, weil es eine notwendige Kommunikationsform sein kann. Kommuniziert werden im Streit unterschiedliche Meinungen, Bedürfnisse und Wünsche, die auch unausgesprochen aufeinander prallen und so den Konflikt ausmachen. Es kann schon sein, dass es sich im konkreten Einzelfall zunächst anscheinend nicht lohnt, dafür zu streiten. Die Spätfolgen lehren aber anderes, nämlich dass es sich auf Dauer auszahlt, für sich selbst einzutreten.
Verstehen wir nämlich Streiten als ein engagiertes Sich einsetzen für eine Sache oder für sich selbst, so zahlt es sich aus, auch für Kleinigkeiten die Zeit und die Kraft zu investieren, um zu einem Ergebnis zu kommen, mit dem beide leben können.
Das Ergebnis könnte sein, dass ich in meiner Meinung verstanden werde, dass meine Bedürfnisse wahrgenommen und meine Wünsche aus Einsicht und Liebe sogar erfüllt werden. Denn wer verstanden werden will, muss sich selbst verständlich machen, und wer etwas vom anderen haben will, muss klar sagen, was er oder sie braucht. Wenn ich will, dass der Partner sich für mich interessiert und für meine Anliegen sensibel macht, muss ich ihm die Chance geben und von mir sprechen. Sich füreinander sensibel machen, ist eine Grundlage für den Konsens.
Aber selbst wenn der Konsens nicht möglich ist, kann das Streiten zumindest zu einem Kompromiss führen, vorausgesetzt, dass der Streit nicht vorzeitig abgebrochen oder gar „um des lieben Friedens willen“, den es so nicht gibt, vermieden wird.
Mag. Franz Harant, Dipl. Ehe-, Familien- und Lebensberater, Ehe- und Familienseelsorger. Beratung und Information: BEZIEHUNGLEBEN.AT, Tel. 0732/77 36 76