Papst Benedikt XVI. trifft den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios
Ausgabe: 2006/47, Papst Benedikt, Türkei, Ökumenischer Patriarch, Bartholomaios, Ostkirche, Papstamt, Pro Oriente
23.11.2006 - Franz Hummer
Nächste Woche besucht Papst Benedikt die Türkei. Der Höhepunkt der Reise wird die mit Spannung erwartete Begegnung mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios sein. Dabei rücken Aussagen des früheren Kardinals Joseph Ratzinger in Wien und Graz über „Ostkirche und Papstamt“ wieder in den Blickpunkt.
Wenn Papst Benedikt XVI. am 30. November in Istanbul mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. zusammentrifft, um den Dialog mit der Orthodoxie zu intensivieren, dann führt eine wichtige Spur auch nach Österreich. Benedikt XVI. ist zweifellos jener Bischof von Rom, der über eine besonders intensive Kenntnis der ostkirchlichen Tradition verfügt. Davon zeugen auch zwei Gastvorlesungen, die Joseph Ratzinger 1974 und 1976 in Wien und Graz gehalten hat und die in der Fachwelt auf größte Beachtung gestoßen sind.
Nicht die einzig mögliche Sicht. An der Universität Graz sprach Ratzinger am 26. Jänner 1976 – er war zu dieser Zeit Vizepräsident der Regensburger Universität und Ordinarius für katholische Dogmatik. Wenig später kam seine Ernennung zum Erzbischof von München-Freising. Die Gastvorlesung in Graz organisierte damals der junge griechische Theologe Grigorios Larentzakis, der heute mit offiziell anerkannter Lehrbefugnis die orthodoxe Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz vertritt. Die folgenden Sätze des heutigen Papstes hat Patriarch Bartholomaios – ebenfalls in Graz – anlässlich der Verleihung des theologischen Ehrendoktorates am 18. Juni 2004 zitiert, um nicht zu sagen, sich zu eigen gemacht. Sie lauteten wörtlich: „Wer auf dem Boden der katholischen Theologie steht, kann gewiss nicht einfach die Primatslehre (Lehre über das Papstamt) als null und nichtig erklären. Aber er kann andererseits unmöglich die Primatsgestalt des 19. und 20. Jahrhunderts als die einzig mögliche und allen Christen notwendige ansehen.“ Und noch ein weiterer Satz ist angesichts der Wiederaufnahme offizieller katholisch-orthodoxer Fachgespräche auf Weltebene im September 2006 von Beachtung. Joseph Ratzinger sagte in Graz: „Rom muss vom Osten nicht mehr an Primatslehre fordern, als auch im ersten Jahrtausend formuliert und gelebt wurde.“
Von ihnen gelernt. Begonnen hat die Auseinandersetzung von Joseph Ratzinger mit der orthodoxen Welt und Theologie spätestens seit seiner Lehrtätigkeit an der Universität Bonn. Dort saßen im Hörsaal zwei junge griechisch-orthodoxe Priester, vom Ökumenischen Patriarchat entsandt, um ihre theologische Bildung zu vervollständigen und mit dem Doktorat zu krönen. Ihre Namen lauten: Stylianos Harkianakis und Damaskinos Papandreou. Beide wurden in der vieldiskutierten „Regensburger Vorlesung“ des Papstes ausdrücklich erwähnt. Ratzinger hat wiederholt betont, dass er von den beiden Griechen mehr gelernt habe als sie von ihm. Stylianos ist heute Erzbischof der 800.000 Gläubige umfassenden orthodoxen Gemeinschaft unter der Oberhoheit des Ökumenischen Patriarchats in Australien. Damaskinos ist ein international bekannter Religionswissenschafter. Er sitzt heute im Rollstuhl und musste aus Gesundheitsgründen als Metropolit der Schweiz abgelöst werden. Er war übrigens ein gefragter Gesprächspartner von Kardinal Franz König.
Der Erste von uns. Und jetzt schließt sich der Kreis. Der große Ökumenische Patriarch Athenagoras begrüßte am 25. Juni 1967 Papst Paul VI. beim ersten Besuch eines Papstes in Konstantinopel nach der Kirchenspaltung mit folgenden Worten: „Und siehe, wir haben in unserer Mitte gegen jede menschliche Erwartung den Ersten von uns der Ehre nach, den Vorsitzenden der Liebe“. Joseph Ratzinger hat Jahre später im April 1974 als Gast der Stiftung „Pro Oriente“ in Wien dazu interpretierend wörtlich bemerkt: „Es ist klar, dass der Patriarch damit nicht den ostkirchlichen Boden verlässt und sich zu einem westlichen Jurisdiktionsprimat (Vorrang des Papstes in Rechts- und Glaubensfragen) bekennt. Aber er stellt deutlich heraus, was der Osten über die Reihenfolge der an Rang und Recht gleichen Bischöfe zu sagen hat.“ Am 30. November in den Mittagsstunden wird der Papst bei seinem Besuch im Phanar (Residenz des Patriarchen) diese Überlegungen fortsetzen – und vielleicht ergänzen.
Stichwort
Nach katholischer Lehre ist der Papst der oberste Lehrer, Gesetzgeber und Richter der Kirche. In der orthodoxen Tradition kommt diese Aufgabe dem jeweiligen Patriarchen (gemeinsam mit dem Heiligen Synod) der selbständigen Kirchen (z. B. Moskauer Patriarchat) zu. Der Ökumenische Patriarch (von Konstantinopel) ist in der Ostkirche der „Erste“ unter „Gleichen“, dem im Sinne des Zusammenhalts bestimmte Koordinationsaufgaben, aber kein Lehr- und Rechtsvorrang zustehen. Die Primatsfrage ist daher ein zentrales Thema der Ökumene.