Ausgabe: 2007/18, Schlagnitweit, Caritas, Sozialethik, Elisabeth von Thüringen, Nächstenliebe, Hungersnot, Politik, Notleidende
02.05.2007 - Markus Schlagnitweit
Mit Elisabeth vo Thüringen verbinde ich das doppeldeutige Bild einer „heiligen Närrin“. Einerseits bewundere ich ihre radikale persönliche Nächstenliebe, andererseits frage ich mich manchmal, ob sie sich als Landesfürstin nicht stärker gegen ungerechte Strukturen hätte stark machen können.
Uneingeschränkt bewundere ich die Radikalität, mit der sich Elisabeth – als Landgräfin von Thüringen und auch nach ihrer politischen Entmachtung – für Arme und Notleidende einsetzte. Sie selbst stammte zwar aus privilegierten Verhältnissen. Sie teilte und half aber nicht wie eine, die vom eigenen Überfluss halt ein wenig abgibt – gerade genug, um das eigene Gewissen etwas zu beruhigen, aber nicht so viel, dass sie es selber spüren würde. Ihr Geben ging vielmehr auch an die eigene Substanz, bedeutete zugleich Verzicht auf eigene Lebensmöglichkeiten und insofern echtes Teilen. Und in dieser Rückhaltlosigkeit beschränkte sie sich – glaubt man seriösen Berichten über ihr Leben – auch nicht auf die bloß materielle Ebene; sie setzte sich vielmehr selbst aufs Spiel: angefangen bei ihrer gesellschaftlichen Position bis hin zu ihrer physischen Gesundheit.
Vollblut-Heilige. Sympathisch finde ich auch, dass Elisabeth von ihren Biografen als außerordentlich temperamentvolle Frau geschildert wird, zuweilen überschießend in ihren Gefühlen und Handlungen, unangepasst an die Sitten ihres Standes und insofern auch kritisch gegenüber den überkommenen Konventionen, Regeln und Hierarchien der damaligen Gesellschaft. Mag darin sogar etwas vom Bild einer „ausgeflippten“ Privilegierten, „die es sich eben leisten kann“, zum Vorschein kommen – mir sind so kraftvolle, vitale „Vollblut-Heilige“ mit ihren Ecken und Kanten jedenfalls allemal lieber als die blass-süßlich-fleischlosen Figuren, die es in unseren kirchlichen Heiligen-Katalogen auch zuhauf gibt.
Mehr Gerechtigkeit. Dennoch ist meine Bewunderung für Elisabeth nicht ungetrübt: Von ihr wird berichtet, dass sie stets mit vollen Händen gegeben hat – so sehr, dass ihr Beichtvater sie darin sogar einschränken musste: Durch ihre Maßlosigkeit hätte sie die sozialen Einrichtungen, in denen sie selbst mitarbeitete, in ihrem Weiterbestand gefährdet. Überhaupt frage ich mich, ob sie nicht gerade aufgrund ihrer privilegierten Stellung auch Möglichkeiten gehabt, aber nur schlecht genutzt hätte, sich nachhaltiger für die Sache der Armen zu engagieren als „nur“ durch ihre persönliche Großherzigkeit: Unmittelbare Hilfe in Notsituationen ist meines Erachtens immer nur die eine – unverzichtbare – Seite christlicher Caritas; auf der anderen Seite verlangt eine echte „Option für die Armen“ aber immer auch, den strukturellen Ursachen von Armut, Gewalt und Benachteiligung nachzugehen. Caritatives Engagement hat deshalb immer auch eine politische Komponente im Sinne des Einsatzes für strukturelle Chancengleichheit, soziale Gerechtigkeit und nachhaltige „Not-Prävention“.
Heilige Politiker. Politisches Handeln erfordert neben Sachkompetenz immer auch den klugen Umgang mit entgegenstehenden Interessen, die Fähigkeit zu Kompromissen, den langen Atem oft mühsamer Verhandlungen und Überzeugungsarbeit – und nicht immer entsprechen die dabei erzielten Ergebnisse gleich den ursprünglichen Vorstellungen. Konstruktives sozialpolitisches Agieren erntet deshalb in der Regel auch weniger öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung als spektakuläre Not- und Katastrophenhilfe. Aber es gehört nicht weniger zum christlichen Weltauftrag im Sinne der Botschaft vom Gottesreich.Wäre es nicht an der Zeit, unsere Kirche holte auch einige realpolitische Vorbilder als Heilige vor den Vorhang der Öffentlichkeit?
Dr. Markus Schlagnitweit ist Sozialethiker und Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs.
Stichwort
- 1227 wurde Thüringen von einer großen Hungersnot heimgesucht. Elisabeth wollte angesichts des Elends nicht länger auf die Rückkehr ihres Gatten warten und ließ die Vorratsspeicher des Landgrafen öffnen und Nahrungsmittel an die Notleidenden verteilen. Sie erfand auch manche Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, um Armen zu helfen. Die Brüder ihres Mannes protestierten dagegen, Landgraf Ludwig stellte sich nach seiner Rückkehr hinter sie.
- Nachdem sie die Not der Bauern, die einen erheblichen Teil ihrer Ernte abliefern mussten, gesehen hatte, bestand Elisabeth darauf, mit ihren Dienerinnen nur noch Speisen und Getränke zu sich zu nehmen, die direkt von den Gütern ihres Mannes stammten.