Bilder in vielerlei Formen prägen den Alltag. Neben der Sprache sind sie die wichtigste Form der Menschen, sich auszudrücken.
„Sich von etwas ein Bild machen“ heißt, man hat von einer Sache eine Idee, eine Vorstellung. Wenn ich mir von einer Situation ein Bild machen kann, so habe ich bereits eine gewisse Orientierung gefunden. Wenn wir einem anderen Menschen etwas verdeutlichen möchten, so kleiden wir dies vielfach in Bilder: „Es ist wie …“ oder „Stell Dir vor …“. Bilder sind neben Sprache die wichtigste Form, sich auszudrücken und miteinander zu kommunizieren. Im Vergleich zum Wort, das auf Genauigkeit und Klarheit zielt, vermag ein Bild vielschichtigere Sachverhalte zu artikulieren. Bilder müssen nicht eindeutig sein. Ganz im Gegenteil, gerade die Mehrdeutigkeit macht die Stärke und den Reiz von Bildern aus. Bilder sprechen die Menschen auf vielfältige Weise an. Sie richten sich nicht nur an den Verstand, sondern regen Empfindungen und Gefühle, Phantasie und Kreativität an.
Alle Kulturen haben Bilder. Es gibt sehr unterschiedliche Formen von Bildern: Vorstellungs- und Traumbilder; Bilder im persönlichen Umgang wie Familienfotos und Urlaubskarten; Bilder in der medialen Öffentlichkeit in Zeitungen und auf Plakatwänden; schließlich Bilder als Kunstwerke, die stets eine ausgezeichnete Form menschlichen Ausdrucks und gesellschaftlicher Kommunikation darstellen. Alle Kulturen und Gesellschaften (seit Menschengedenken) haben Bilder geschaffen, um dem, was ihnen bedeutsam und wichtig ist, eine Gestalt zu geben. Manche dieser Bilder erhalten einen herausragenden Stellenwert; sie werden einzelnen Menschen, einer gesellschaftlichen Gruppierung, einer Gemeinschaft in besonderer Weise wichtig. Im religiösen Zusammenhang werden sie zu Kultbildern; in säkularen Zusammenhängen genießen einzelne Bilder ebenfalls besondere Aufmerksamkeit – etwa Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ oder die zahlreichen Variationen Marilyn Monroes von Andy Warhol.
Bilder täuschen. Doch Bilder können auch täuschen. Man kann sich von einer Situation ein falsches Bild machen; das heißt, man versteht sie nicht in angemessener Weise. Dabei bergen sie auch die Gefahr, etwas oder jemanden in bestimmter Weise festzulegen. Sich von einer Person ein Bild zu machen heißt einerseits, mit ihr vertraut zu werden. Es kann aber auch bedeuten, sie festzulegen und ihr keinen Spielraum vielseitiger Entfaltung einzuräumen.
Bild und Bilderverbot. Wohl kein anderer Künstler wie der belgische Maler René Magritte (1898–1967) hat es verstanden, auf derart subtile Weise sowohl den Reiz von Bildern als auch deren Spiel mit uns und unserem Vorstellungsvermögen vor Augen zu führen. „La condition humaine“, wörtlich übersetzt „die menschliche Verfassung“, zeigt einen Innenraum mit Fensterausblick. Der Bildausschnitt ist so gewählt, dass letztlich nur das Fenster zu sehen ist. In extrem realistischer Manier und äußerst feiner Malweise zeigt der Künstler ein Fenster, das den Blick in eine frühlingshafte Landschaft freigibt. Doch der Schein trügt. Wir blicken nicht in eine Landschaft, sondern auf ein Bild! Vor dem Fenster steht eine Staffelei, man erkennt sie erst bei genauerem Hinsehen. Der Künstler sagt uns damit zweierlei: Zunächst: wir sehen unsere Welt durch Bilder – dies ist „die menschliche Verfassung“ und als solche eine Tatsache. Bei genauerer Aufmerksamkeit erkennen wir aber auch die Mechanismen der Täuschung. Weiter gedacht: Ein unverstellter Blick in die Wirklichkeit ist dem Menschen nicht möglich. Aber er kann (und soll) stets von neuem das Bild, das er sich von der Wirklichkeit macht, einer kritischen Prüfung unterziehen.Die Bilderverbote der Religionen sagen letztlich dasselbe. Der Mensch braucht Bilder der göttlichen Wirklichkeit, um überhaupt mit dieser Wirklichkeit kommunizieren zu können. Aber er muss diese Bilder immer wieder einer kritischen Überprüfung unterziehen. Bild und Bilderverbot sind zwei Seiten einer Medaille, die Wirklichkeit als lebendig und letztlich nicht fassbar begreifen.
Monika Leisch-Kiesl, Professorin für Kunstwissenschaft und Ästhetik an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz
Lesen Sie kommende Woche hier: Das alttestamentliche Bilderverbot