Auch unter Christen und Christinnen ist heute der Glaube an die „Auferstehung der Toten“ nicht selbstverständlich
Warum stehen wir an den Gräbern unserer Lieben? Was wollen wir, wenn wir all jener Menschen gedenken, aus deren Gesicht Gott schon alle Tränen abgewischt hat? Pietätvolle Bräuche oder Hoffnung auf ein Leben in Gottes Liebe – heute und immer?
Als meine Mutter starb, war ich gerade zwölf Jahre alt. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen im Jenseits stand damals für den fleißigen Ministranten außer Zweifel. Dies umso mehr, als eine alte Frau aus dem Dorf zu mir nach der Beerdigung sagte: „Brauchst keine Angst zu haben. Jetzt wird die Mutter auf dich schauen. Vom Himmel aus!“
Billiger Trost? Das Vertrauen darauf, dass die verstorbene Mutter, dann auch der Vater und andere verstorbene Freunde, mir gerade dann den Himmel offen halten, wenn mir die De-cke auf den Kopf fällt, hat einiges an Brüchen in meinem Leben geheilt und mir auch über so manche Sackgassen hinweggeholfen. Stellt diese Einstellung aber etwas anderes dar als den Inbegriff infantiler Wünsche nach einem billigen Trost in der Krise? Kann der erwachsene Theologe, der sich an einer Universität um eine vernünftige Begründung und rationale Kritik des religiösen Glaubens bemüht, noch so kindlich denken?
Was erhoffen wir? Unsere Zeit tut sich nicht leicht damit, die Hoffnung auf ein Leben durch den Tod hindurch auszudrücken und zur Sprache zu bringen. Der Alltag ist auch so zur Genüge ausgefüllt: mit Arbeitsstress und Erlebnisrausch. Konfrontiert mit dem Sterben, zeigen wir uns zwar betroffen. Wir schweigen aber gerade dann, wenn wir über Hoffnung reden müssten, über unsere Hoffnung als Christ/innen. Angesichts der Menschen, die im Koma liegen, erhoffen die meisten Zeitgenossen nur noch das baldige Ende. Mehr nicht! Und die Betroffenen selbst? Wir wissen nicht, ob sie etwas erhoffen oder nur noch warten. Bis es aus ist! Die Ängste machen uns allerdings noch zu schaffen. Weniger die Ängste vor dem „Danach“, als die Angst vor dem Sterbeprozess selber. Es ist ja eine hoffnungsarme Zeit, die Zeit, in der wir leben. Die Decke der Endlichkeit fällt uns immer öfter auf den Kopf, in einer Kultur, die in reiner Diesseitigkeit verfangen bleibt.
Immer so weiter? Ein Bekenntnis zur Reinkarnation (Wiedergeburt) klingt in den Ohren vieler Zeitgenossen weniger lächerlich als das Vertrauen, dass wir in alle Ewigkeit leben werden. Nicht zuletzt deswegen, weil es der Selbstverliebtheit, dem allgegenwärtigen Leistungsstress und dem Erlebniswahn huldigt. Kein Wunder, dass die um sich selber kreisenden kulturellen Eliten Hoffnung dieser Art zur Schau tragen.
Im Geschehen der Liebe. Christ/innen geben sich aber mit dem seichten Wunsch nicht zufrieden. Sie erhoffen mehr: Wir werden leben! Nicht geklont, nicht in immer neuen Gestalten und auch nicht als eine amorphe Masse. Nein! Als Personen, die ihre Einmaligkeit nicht verlieren, sondern bewahren. Durch Brüche und Sackgassen gar zur Vollendung gebracht werden. Die Beziehungen werden demnach nicht abgebrochen. Im Gegenteil! Sie werden vollendet in jenem Beziehungsgeschehen, in dem wir das letzte Geheimnis der Wirklichkeit erblicken: im Geschehen der Liebe des dreifaltigen Gottes. Und mit der Liebe ist es ja immer so: je mehr ich geliebt werde und auch selber liebe, und mich in diesem Geschehen auch „verliere“, umso mehr werde ich ja ich selber sein. Unser tagtägliches Lieben verweist auf diese Vollendung. Die von der Liebe getragene Vernunft ist auch die beste Anwältin für die lebendige Hoffnung.
Die Beziehungen leben. So paradox es klingen mag: gerade zu Allerheiligen und Allerseelen sind Spuren dieser Hoffnung noch deutlich zu sehen. Jeder Besuch beim Grab, das Anzünden einer Kerze vor dem Bild der Verstorbenen, gar ein Gebet für diese, zeigt an, dass wir die Beziehung nicht abgebrochen haben. Am Allerseelentag betet aber die Kirche besonders für all jene, für die niemand mehr betet, und auch für jene, für die niemand mehr beten will. Stellvertretend bezeugt sie, dass kein Toter aus diesem Beziehungsgeflecht seitens der Lebenden ausgenommen bleibt. Und sie glaubt, dass auch die Toten für uns beten. Und uns in Christus den Himmel offen halten. Gerade dann, wenn uns die Decke auf den Kopf fällt.