Angesichts von Umweltkatastrophen ist „Elterlichkeit“ gefordert, meint der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter.
Vor 400 Jahren hat der britische Philosoph Francis Bacon eine Vision von der Zukunft formuliert. „Neu-Atlantis“ nannte er seinen erfundenen Staat. Der männliche Wille sollte nur noch vom Denken geleitet werden. Gefühle und Leidenschaften seien zu unterdrücken. Damit waren die Geschlechterrollen festgeschrieben: Der Mann macht sich auf, die Natur zu beherrschen, und alles, was mit Familie, Liebe, Erziehen und Helfen zu tun hat, bleibt der scheinbar kindlicheren, dümmeren und labileren Frau. Bacon hat tatsächlich vieles vorhergesehen, was heute Wirklichkeit ist: etwa Flugmaschinen, künstlicher Regen und Schnee, Hörgeräte und Wolkenkratzer.
Ende der Rollenaufteilung. Heute funktioniert die klassische Rollenaufteilung nicht mehr. Wir müssen umdenken, was „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ heißen soll. Frauen entfalten in hohen Ämtern in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik hervorragende Führungsqualitäten. Das verunsichert viele Männer, die sich auf traditionelle Rollenverteilung stützen möchten und sehen, dass das nicht mehr funktioniert.
Niemand mag allein bestehen. „Männer stellen sich als selbstständig dar, geraten aber sofort in Angst, wenn sie sich nicht anklammern können“, behauptet Richter. So gibt es kaum einen Mann, der eine Frau verlässt, ohne bereits eine neue zu haben. Frauen hingegen können sich trennen, auch wenn sie danach alleine leben. Beide seien abhängig, aber der Mann verleugnet das. Laut Richter wäre es besser, mehr soziale Kompetenzen zu erwerben, statt „Verdrängungs-Energie“ aufbringen zu müssen.
Gemeinsame Selbstverwirklichung. Horst-Eberhard Richter sagt, er habe das Ziel, nämlich „Elterlichkeit“, in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt: „Da ging es nicht vorrangig um Selbstverwirklichung als Mann oder Frau, sondern um Liebe und gemeinsamen Aufbruch.“ „Elterlichkeit“ heißt für ihn „eine gemeinsame Selbstverwirklichung bei gleichzeitiger Sorge um anderes Leben“. Und diese Elterlichkeit sei heute mehr gefordert denn je: „Die Natur, die der Mann angreift, unterwirft und beherrscht, lässt ihn seine verleugnete Abhängigkeit gnadenlos spüren.“ Der Weltklima-Rat berichtet von drohenden Umweltkatastrophen. Für Richter ist das eine Bestätigung seiner Behauptung: „Da kann Männlichkeit endgültig nicht mehr Siegen und Erobern heißen, sondern mit den Frauen ebenbürtig werden in einer gemeinsamen solidarischen Elterlichkeit.“
Druck der Arbeitswelt. Josef Lugmayr von der Katholischen Männerbewegung OÖ sieht, dass sich in den Familien bereits viel zu gemeinsamer Elterlichkeit bewegt hat. Allerdings sei es für Männer schwieriger als für Frauen, aus dem Druck der Leistungsgesellschaft herauszugehen. „Das hängt nicht in erster Linie mit dem Zusammenleben von Mann und Frau zusammen, sondern mit der Arbeitswelt“, meint Lugmayr. Gefordert seien Arbeitgeber: „Sie gehen davon aus, dass Arbeitnehmer da sind – und das rund um die Uhr. Das hat sich sogar noch verschärft.“
- Horst-Eberhard Richter (Foto unten) referierte in der Männer-Vortragsreihe der Katholischen Männerbewegung und der VHS der Stadt Linz. Der Psychoanalytiker ist Jahrgang 1923. Er war bis 1992 Direktor der Psychosomatischen Uni-Klinik Gießen in Deutschland. Richter ist Mitbegründer der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und engagierte sich in der Friedensbewegung.
Nähere Information zur Vortragsreihe auf der Homepage: www.dioezese-linz.at/kmb