Dürfen Religionen öffentlich zu ihrem Wahrheitsanspruch stehen? Wie kommt man der Wahrheit auf die Spur? Bei der 10. Ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster gab es spannende Dialoge.
In Spanien will die Regierung alle religiösen Symbole aus den Schulen verbannen. In Oberösterreich wurde erst jüngst wieder der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen infrage gestellt. Aber „der weltanschaulich neutrale Staat und der öffentlich geäußerte Wahrheitsanspruch der Religionen bedingen einander“, meint dazu Wolfgang Thönissen, Professor für Ökumene in Paderborn. Die Religionsfreiheit gelte nach den Menschenrechten nicht nur im Privaten, sondern auch für die öffentliche Religionsausübung der Kirchen. Religionen dürften dabei ihre „Wahrheit“ Menschen nicht aufzwingen. Die Freiheit des Einzelnen genieße wie die Religionsfreiheit denselben Schutz. Bei der Suche nach Wahrheit seien die Kirchen aufeinander verwiesen. Thönissen: „Die Kirchen sind zum ökumenischen Dialog verpflichtet – die Ökumene ist der Weg der Kirche.“ Ohne Ökumene könne die Wahrheit im umfassenden Sinn nicht erfasst werden.
Wahrheit braucht Beziehung. „Wir brauchen einander zur Wahrheitssuche“, ist die Wiener Theologin Regina Polak überzeugt. „Wahrheit kann nur auf einem Beziehungsweg erschlossen und erahnt werden“, betonte sie. Die christlichen Kirchen müssten daher Räume des Nachdenkens, Suchens und fragenden Wortes sein.
Digitaler Nihilismus. Die modernen Methoden der Kommunikation, vor allem das Internet, haben gravierende Auswirkungen auf die Wahrheitsfrage, gab der Regensburger Theologe Klaus Müller zu bedenken. „Neue Medien geben die Öffentlichkeit, als deren Garanten sie gepriesen werden, in Wahrheit auf“, meinte er. Es gebe nicht mehr die Suche nach der gemeinsamen Wahrheit. Müller sprach von einem „digitalen Nihilismus“, in dem die vielen Wahrheiten der Einzelnen beziehungslos nebeneinander stünden, und von einem Funktionsverlust der Leiblichkeit, die ohne persönliche Begegnungen auskommen will. Nur früh ansetzende Medienpädagogik könnte Menschen vor diesen Gefahren schützen.
Die Wahrheit wird euch frei machen. Dieser markante Satz aus dem Johannesevangelium (8,32) macht für den Tübinger Neutestamentler Christof Landmesser deutlich, wie sehr Freiheit und Wahrheit miteinander verbunden sind. „Mit der Wahrheit kommt das Verhältnis des Menschen zu Gott, seinem Schöpfer, ebenso in den Blick wie seine Beziehung zu den Mitmenschen und zur Welt.“ Freiheit sei daher nicht beliebig, sondern „öffnet das vom Schöpfer für seine Menschen gewollte Leben in der Welt“. Martha Zechmeister, Theologin in Passau und El Salvador, zeigte eindrucksvoll auf, dass Wahrheit nicht am Leid vorbei zu finden wäre. „Die Gewissheit erreicht uns durch die Autorität der Leidenden“, betonte sie. Wahrheit zur Sprache zu bringen – das Leid aufzuzeigen –, sei riskant und gefährlich. Aber: „Erfolg ist kein Kriterium der Wahrheit das Gescheiterte ist nicht das Widerlegte“, meinte Zechmeister.
Suchen und Finden im Internet - und was dabei verloren geht. die Wahrheitsfrage stellt sich neu.
Zum Thema
Weg, Wahrheit und Leben
Die Ökumenische Sommerakademie wurde zum 10. Mal im Stift Kremsmünster durchgeführt. Der ORF Oberösterreich und die KirchenZeitung organisieren die Akademie zusammen mit Einrichtungen der christlichen Kirchen. Dabei stellen sich auch Kirchenvertreter der Diskussion. Christentum sei nicht leere Ideologie, betonte Michael Staikos, Metropolit der griechisch-orthodoxen Kirche. Es gehe darum, „Christus im schwachen, hungernden und hilfsbedürftigen Menschen, im konkreten Leben, zu dienen.“ Hermann Miklas, Superintendent in der Steiermark, hob die Bedeutung des „Weges“ hervor: „Die Wahrheit Jesu enthüllt sich im Gehen, in der Nachfolge.“ Kirchen sollten sich angstfrei dem Dialog mit den Herausforderungen der Gegenwart stellen.Diözesanbischof Ludwig Schwarz sieht eine Auswirkung auf die Ökumene: „Könnte nicht der gemeinsame Blick auf Jesus die Kirchen immer mehr weg von vorläufigen Fragen, näher zum gemeinsamen Zentrum führen?“