Der Libanon ist kleiner als Oberösterreich und beherbergt an die zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Das Elend in den Lagern ist groß. Ehrenamtliche Helfer/innen wie die Libanesin Malak F., die mit der Lebensmittelhilfe auch menschliche Wärme bringt, ist ein Lichtblick in der tristen Lage.
Ein Dutzend Frauen sitzt entlang der Wände eines etwa vier mal vier Meter großen Zeltes. Einige wiegen einen Säugling im Arm, andere haben ein Kleinkind neben sich sitzen. Gespannt schauen die Frauen auf Malak F., eine junge Libanesin. Was den Alltag im Lager schwer macht, fragt sie. Aus den syrischen Flüchtlingsfrauen sprudelt es nur so hervor. Ihr Lager – das Tayrir-Camp in der Bekaa-Ebene – besteht aus 45 Behausungen, errichtet auf einem Feld. Dank der Hilfe des Roten Kreuzes konnten sie ihre Zelte und Hütten auf einer betonierten Bodenplatte errichten. Das gilt hier im Vergleich zu vielen anderen als Verbesserung. Aber der Kampf ums tägliche Überleben nimmt die Frauen voll und ganz in Beschlag. An die zwei Millionen Syrer sind seit 2011 vor dem Krieg in das Nachbarland Libanon geflüchtet. Der Libanon, flächenmäßig etwas kleiner als Oberösterreich, zählt, 4,5 Millionen Einwohner. Bald kommen auf zwei Einwohner ein Flüchtling. In der Bekaa-Ebene, im Grenzgebiet zu Syrien, leben besonders viele Flüchtlinge. Überall sieht man ihre Unterkünfte. Geräteschuppen, leere Kuhställe, verfallene Häuser, von denen nur mehr die Außenmauern stehen: Aus jeder Ruine ist eine Flüchtlingsunterkunft geworden. Auf den Feldern reiht sich Zeltlager an Zeltlager. Die ehrenamtliche Rot-Kreuz-Mitarbeiterin Malak F. ist im Tayrir-Camp mit einer Gruppe von Frauen im Gespräch. 80 bis 100 Dollar kostet die Miete für das Fleckchen Erde, auf dem das Zelt steht – im Monat. Durch Arbeit auf den Feldern der Bauern, denen das Grundstück gehört, können die Flüchtlinge das Geld dafür verdienen. Vier bis sechs Dollar zahlen die Landbesitzer am Tag. Die Bekaa-Ebene gilt als die Obst- und Gemüsekammer des Libanon, zum Glück ist dort Handarbeit gefragt. Vereinzelt werden noch Felder abgeerntet, aber auf der 900 Meter hoch gelegenen Bekaa-Ebene zieht jetzt rasch der Winter ein. Nachts sind die Temperaturen schon auf drei bis vier Grad gesunken. Das Husten ist ein ständiges Hintergrundgeräusch zum angeregten Austausch der Frauen. Säuglinge, Kinder, die Frauen selbst – fast jede hustet. Durch die Bodenplatte, die nur mit zwei alten Teppichen belegt ist, durch die Plastikplanen, die als Wände dienen, und das Wellblech des Dachs findet die Kälte ihren Weg in das Innere des Zelts. In der Mitte steht ein kleiner Ofen, der mit Petroleum zu heizen ist. Der bleibt zumeist kalt. Der Brennstoff ist zu teuer.
Angst vor dem Winter
Die Frauen haben Angst vor dem Winter, sagen sie zu Malak. Der macht das Leben im Lager schwer, aber das können sie nicht ändern. Woran man aber hier im Camp etwas ändern sollte, wäre das Verhalten der Männer. Sie beteiligen sich kaum an der Bewältigung des Alltags, klagen die Frauen. Es ist zu wenig, dass die Männer als Tagelöhner arbeiten – und das ohnehin nicht jeden Tag. Ohne das Wort Partnerschaft in den Mund zu nehmen, in diesem Elend wäre Partnerschaft zwischen Mann und Frau ein Lichtblick. Aber Lichtblicke gibt es kaum: dass Kinder auf den Feldern in Hitze und Kälte schuften, und Mädchen mit 12, 13 Jahren heiraten müssen, um sie als Esser los zu werden, ist keine Seltenheit. Dabei sollten die Kinder eine Schule besuchen. Ein zehnjähriger Bub hat sich zu den Frauen geschlichen. Er möchte einmal nach Germany gehen, weil er weiß, dass in Deutschland syrische Flüchtlinge alles bekommen. Als man ihm einen Block hinhält, damit er seinen Namen aufschreiben kann, gibt er den Bleistift verschämt zurück. Osama kann nicht schreiben. Er lebt schon seit vier Jahren ohne Schule. UNICEF, das Kinderhilfswerk der UNO, bemüht sich, die Kinder in ein Klassenzimmer zu bringen. Obwohl heuer an die 150.000 Flüchtlingskinder unterrichtet werden, ist das nicht einmal die Hälfte. Seit Kurzem hat Osama zwei Stunden täglich Unterricht, aber das ist mehr zur Beschäftigung als zum Lernen, sagt Malak. Sie besucht beinahe täglich vormittags Lager rund um ihre Heimaststadt Zahlé. Eine Angestellte führt in diesen Stunden ihr Bekleidungsgeschäft. Die Libanesin macht das für sich und ihre Kinder: „Man darf kein Leben führen ohne Liebe zu den anderen.“ Sie freut sich, dass ihr Mann, der achtjährige Sohn und die zwölfjährige Tochter ihren Einsatz unterstützen. Rotes Kreuz, UNO, Caritas, viele Organisationen helfen in den Lagern, aber es reicht hinten und vorne nicht. Eine Flüchtlingsfrau erzählt, dass sie Nierenkrebs hat und Metastasen im ganzen Körper. Nach einem Hustenanfall ist ihr Taschentuch voll Blut. Die Chemotherapie hat sie vor Kurzem abgebrochen. Sie kann sie nicht mehr bezahlen. „Das Leben der Frauen ist so hart hier. Sie haben so schwer zu tragen. Ich kann ihnen nur zuhören“, sagt Malak. Ihr stehen Tränen in den Augen. Aber gerade weil es Menschen wie Malak gibt, verlieren die Frauen im Lagerelend nicht ihren Lebensmut. Sie beginnen mit den Besucher/innen aus Oberösterreich zu scherzen: „Lasst uns mit euch gehen. Nehmt uns mit nach Europa.“ Eine Plauderei fängt an: Wenn sie zwischen Europa und Syrien wählen könnten, wohin würden sie gehen? – Heim nach Syrien, kommt die Antwort wie mit einer Stimme. Das steht für sie außer Frage. «
Der Libanon darf nicht zerbrechen
Landesrat Rudi Anschober ist in Oberösterreich für Asyl und Integration zuständig. Er hat vor wenigen Tagen Flüchtlingslager im Libanon besucht. Hier sein Eindruck und seine Überlegungen:„Über 90 Prozent der Menschen aus Syrien, die vor dem Krieg aus ihrer Heimat fliehen mussten, sind in der Region geblieben. Dioe Nachbarländer wie der Libanon tragen die wirkliche Last. Es liegt auch in unserer Verantwortung, dass Millionen Menschen hier überleben können. Wir müssen die Versorgung der Lager mit Lebensmitteln sicherstellen. Wir dürfen es nicht vom Zufall abhängig machen, ob die Regierungen gerade genug Hilfsgelder freigeben oder nicht. Wenn der Staat Libanon an den fast zwei Millionen Flüchtlingen zerbricht, wäre das eine Katastrophe – in erster Linie für die Menschen vor Ort, aber auch für uns. Wenn man hier in einem Lager steht, bekommt man ein tiefes Unbehagen, wenn man sich die Stimmung in Österreich anhört, die Flüchtlingen gegenüber herrscht.