Anti-Terror-Einsätze in Österreich häufen sich. Auffallend ist, dass Terror-Verdächtige immer jünger werden. Aktuell ist auch ein 17-Jähriger festgenommen worden. Er soll gemeinsam mit einem 12-Jährigen Terror-Pläne geschmiedet haben. Die Nahost-Expertin Karin Kneissl nimmt Stellung zum Thema.
Ausgabe: 2017/05
31.01.2017 - Susanne Huber
Was steckt dahinter, dass radikale Dschihad-Anhänger immer jünger werden? Ist das ein neues Phänomen?
Karin Kneissl: Ganz neu ist es nicht. Neben der aktuellen Festnahme gab es in Wien vor rund zweieinhalb Jahren unter anderem den Fall eines 14-jährigen Schülers aus St. Pölten, der wegen Terror-Verdachts in U-Haft genommen wurde, weil er geplant haben soll, den Wiener Westbahnhof in die Luft zu sprengen. Laut Ermittlungen hat er sich übers Internet Anleitungen zum Bau einer Bombe besorgt. Zwei Wochen später wurde er wieder freigelassen und psychologisch unterstützt. Er blieb aber radikal und sah sich auch immer wieder Dschihad-Videos im Internet an. Derzeit ist er wieder in Haft. In Österreich ist dieses Phänomen junger Radikaler im Vergleich zu den Staaten des Nahen Ostens aber relativ neu.
Was bedeutet das? Ist die Zahl sehr junger gewalttätiger Menschen im Nahen Osten höher?
Karin Kneissl: Wenn wir einen Blick in diese Region werfen, tritt das Phänomen sehr junger Radikaler dort seit einigen Jahren verstärkt auf. Im Konflikt Israel–Palästina etwa kommt es seit 2015 vermehrt zu dramatischen Beispielen, wo bereits Acht- und Zehnjährige Anschläge verüben; oder zwölfjährige vor allem palästinensische Jugendliche Attentate setzen mit Messern, Kartoffelschälern und Feilen auf Israelis. In den 80er-Jahren kannte man aus den palästinensischen Aufständen gegen Israel, der so genannten ersten Intifada, Steine werfende Kinder und Jugendliche, die zur Tat geschritten sind, weil sie gesehen haben, wie der Vater oder der Bruder gedemütigt worden waren. Es ist vor rund einem halben Jahr in Syriens Hauptstadt Damaskus ein Anschlag verübt worden von einem achtjährigen Dschihad-Anhänger.
Wie gelingt es, Jugendliche auch aus Österreich und Europa zu radikalisieren? Was sind die Hintergründe dafür?
Karin Kneissl: Das eine ist, dass neben älteren jungen Erwachsenen auch Kinder und sehr junge Jugendliche immer häufiger aktiv angesprochen werden von wortgewandten islamistischen radikalen Predigern. Das findet über die Sozialen Medien statt, aber auch in Moscheen oder in Parkanlagen. Junge Leute, die ihrem bedeutungslosen Leben Gewicht geben wollen, sind eine relativ leichte Beute für Verführer. Die Gründe sind vielfältig.
Geht es manchmal auch um Vorbilder, zu denen aufgeschaut wird?
Karin Kneissl: Ja, so war es im Fall des jungen Terroristen aus Toulouse, dessen älterer Bruder sich in der radikalen Szene bewegte und für ihn Vorbildwirkung hatte. Der Franzose algerischer Abstammung schoss schließlich 2012 gezielt auf Soldaten und auf Kinder und Lehrer an einer jüdischen Schule. Es gibt auch Vorabendserien auf türkischen Kanälen, wo ein aufrechter muslimischer Kämpfer die bösen Ungläubigen aus dem Weg räumt. Das ist für manche Jugendliche faszinierend. Ganz anders ist das Problem in Afrika, beispielsweise in Nigeria. Da haben wir Fälle von entführten Mädchen, die unter Drogen gestellt und einer Gehirnwäsche unterzogen werden und sich in Folge mit acht, zwölf oder sechzehn Jahren für den Dschihad in die Luft sprengen.
In manchen Fällen zeigt das auch, dass Jugendliche oft nicht unterscheiden können zwischen dem Islam als Weltreligion und dem radikalen Islam ...
Karin Kneissl: Richtig, sie wissen es oft nicht. Der radikale Islam fängt bei mir aber nicht erst bei den Salafisten und IS-Anhängern an, sondern bei jenen Muslimen, die behaupten ihre Religion ist die eine wahre; alle anderen gelten als untere Religionen, die nicht gleichwertig betrachtet werden. Das Problem, das ich sehe, ist die Verachtung für den anderen, der kein „wahrer“ Muslim ist – sei es der liberale Muslim oder die Muslimin, die kein Kopftuch trägt und deshalb beschimpft wird; und erst gar nicht zu reden von der unverschleierten im Sommerkleid lebenden Frau der anderen Gesellschaft.
Das war aber nicht immer so ...
Karin Kneissl: In den 80er-Jahren war Verschleierung oder das Teilnehmen am Schwimmunterricht für Musliminnen in Österreich kein Thema. Heute schon, weil eine sehr starke selbstgestrickte religiöse Überzeugung da ist. Für viele ist diese klare Botschaft der wirklich wahren Religion attraktiv. Da kann ich mir schon vorstellen, dass junge Menschen, egal ob Mann oder Frau, für die eine reine Sache ins Gefecht ziehen. Sie müssen gar nicht nach Syrien gehen, sondern sie erreichen viel mehr angesichts der vielen Ungläubigen, die sie hier bekämpfen können.
Was, denken Sie, wären sinnvolle Deradikalisierungsmaßnahmen?
Karin Kneissl: Ich bin eine große Verfechterin dahingehend, klare Sanktionen zu setzen. Es haben sich bei den Dschihadisten-Prozessen Staatsanwälte und Richter einiges getraut. Da wurden relativ hohe Strafen von acht und fünfzehn Jahren Haft verhängt. Der Hassprediger Mirsad O. alias „Ebu Tejma“ ist vergangenes Jahr in Graz sogar zu 20 Jahren Haft verurteilt worden wegen der Rekrutierung junger Männer für die Terrormiliz Islamischer Staat. Mit diesen hohen Strafen haben manche nicht gerechnet, aber ich glaube, der Staat muss zeigen, wir haben das Gewaltmonopol und wir sagen, was in diesem Land Gesetz ist und was nicht Gesetz ist. Das muss auch angewandt werden, wenn Burschen auf Mädchen Druck ausüben und sagen, du hast dich anders zu kleiden, ansonsten beschimpfen wir dich als Hure.
Unter muslimischen Jugendlichen z. B. in Wien gibt es ein neues In-Wort, nämlich „Haram“. Junge Burschen verbieten jungen Mädchen, sich „freizügig“ zu kleiden, weil das Sünde sei. Wie bedenklich ist das Ihrer Meinung nach?
Karin Kneissl: „Haram“ ist ein islamischer Begriff aus dem Arabischen im Sinne, das ist „verboten“, das ist „unsauber“, entgegen „Halal“, was so viel bedeutet wie „rein“. Mädchen stehen unter Druck, wenn ihnen mitgeteilt wird, sie seien unsauber, weil sie nicht das Kopftuch tragen, weil sie sich zu freizügig kleiden mit ausgeschnittenem T-Shirt oder enger Jeans. Es wird den Mädchen aufgedrängt. Das hat überhaupt nichts mit freier Wahl zu tun. Und das ist Besorgnis erregend.
Welche Maßnahmen könnten Ihrer Meinung nach als Terrorprävention greifen?
Karin Kneissl: Es wurde wahnsinnig viel verhindert und vereitelt, aber man kann nicht alles abwenden. Das Innenministerium hat kürzlich in einer Pressekonferenz einen Appell an die Öffentlichkeit gerichtet: Bitte hinschauen. Aufmerksam sein. Das gilt für Freunde, Bekannte, Lehrer, Mitschüler, Nachbarn, Verwandte, Eltern und Geschwister; dass man nicht den Mantel des Schweigens über die Familie drüberwirft, wenn radikale Tendenzen auffallen, sondern dass man sich traut, das anzusprechen und damit rauszugehen. Das erfordert viel Courage. Die Bevölkerung insgesamt sollte ein waches Auge darauf werfen. Das hat nichts mit Vernadern und Denunzieren zu tun.