Wie begegnet die Kirche den Menschen und der Welt von heute? Was sagt sie zu ihren Fragen, zu ihren Hoffnungen und Nöten? In der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ wird die von Papst Johannes XXIII. gewollte Öffnung der Kirche (Aggiornamento) am deutlichsten sichtbar.
Ausgabe: 2012/25, Serie, Konzil, Freude, Ängste, Pastoralkonstitution, Aggiornamento, Dr. Bernhard Körner
19.06.2012 - Dr. Bernhard Körner
Die Thematik war ursprünglich auf mehrere Dokumente verstreut; für das endgültige Dokument wurden insgesamt unglaubliche acht Fassungen erarbeitet. Sein Aufbau umfasst zwei Hauptteile: Im ersten Teil geht es um die menschliche Person, die menschliche Gemeinschaft und das menschliche Schaffen und daran anschließend um die Aufgabe der Kirche in der Welt von heute. Im Hauptteil II werden verschiedene Themen behandelt, die für die Gesellschaft ebenso wichtig sind wie für die Kirche: Ehe und Familie, der kulturelle Fortschritt, das Wirtschaftsleben, die politische Gemeinschaft, der Frieden und der Aufbau der Völkergemeinschaft. Eine Pastoralkonstitution? Im Normalfall finden sich in einem Konzilsdokument, das als Konstitution bezeichnet wird, bleibend gültige Aussagen des Glaubens. Die „Pastoralkonstitution“ des Zweiten Vatikanums ist anders und deshalb einzigartig. Es geht darin natürlich auch um die Lehre der Kirche – aber sie wird in Beziehung gesetzt zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Daher der Titel des Doku- mentes: „Die Kirche in der Welt von heute.“ Damit erklärt sich auch die Bezeichnung: Pastoralkonstitution. Denn das Wort „Pastoral“ bezeichnet in diesem Dokument nicht nur die Seelsorge, sondern auch das ganze Verhältnis zwischen Kirche und Gesellschaft.
Aggiornamento konkret. Mit der Pastoral-konstitution hat das Konzil ein Dokument geschaffen, das also bewusst zeitbezogen sein will und in manchem auch die Unsicherheiten widerspiegelt, die sich für die Kirche in Einzelfragen bzw. hinsichtlich konkreter Weisung ergeben können. So wurde z. B. die Frage der Geburtenkontrolle und verantworteten Elternschaft zwar in den Grundzügen behandelt, nicht aber die Frage, wie die Kirche die damals neue „Pille“ bewerten soll. Die konkreten Weisungen der Konstitution stießen – innerhalb und außerhalb der Kirche – bei denen auf Unverständnis, die die Kirche nur auf die Verkündigung des Evangeliums und die Feier der Sakramente festlegen wollten und wollen. Für jene, die auch im Weltdienst einen Heilsdienst sehen, ist das Dokument trotz seiner Zeitgebundenheit bis heute eine wichtige Quelle und Motivation.
Die Zeichen der Zeit. Wenn man sagt, die Kirche soll zeitgemäß sein, dann klingt das für manche riskant. Man vermutet schnell, dass die Kirche ihre Glaubensgrundsätze an den Zeitgeist verkaufen könnte. Dieser Gefahr war sich auch das Konzil bewusst. Und so kommt es am Beginn von Hauptteil I auf die „Zeichen der Zeit“ zu sprechen. Die Kirche will auf die Ereignisse, Bedürfnisse und Wünsche, die sie mit allen Menschen teilt, eingehen und zu erkennen versuchen, „was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind“ (GS 11). Es geht also um die „Unterscheidung der Geister“. Nicht das, was faktisch der Fall ist, ist schon der Wille Gottes; sondern die Kirche versucht im Blick auf die Dinge, den Willen Gottes zu erkennen. Ein Beispiel: die riesige weltweite Kluft zwischen Arm und Reich ist ein Faktum, aber nicht der Wille Gottes. Aber im Blick auf diese Kluft können Christ/innen und damit auch die Kirche erkennen, dass es Gottes Wille ist, alles zu tun, um diese Kluft zu verringern.