Über Jahrhunderte haben antisemitische Einstellungen und Verfolgungen das Verhältnis von Kirche und Judentum vergiftet. Papst Johannes XXIII., der als vatikanischer Diplomat vielen Juden das Leben gerettet hat, wollte dem endlich ein Ende bereiten.
Mit dem 4. Artikel seiner Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate) schlug das II. Vatikanische Konzil ein neues Kapitel in den Beziehungen zum Judentum auf. Es war der Beginn eines fruchtbaren Dialogs, der auch manchen Irritationen standhielt.
Verbundenheit. Das Konzil erinnert an ein Band, „wodurch das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist“. Sobald man nachdenkt, ist das selbstverständlich. Aber bereits im Altertum hat es Tendenzen gegeben, diese Verbundenheit zu lösen. Einige meinten, dass im Alten Testament ein dunkler Schöpfergott, im Neuen Testament dagegen ein liebender Erlösergott verkündet werde. Deshalb hat sich etwa der Theologe Markion im 2. Jahrhundert dafür eingesetzt, das Alte Testament aus der christlichen Bibel auszuscheiden. Die Einsicht, dass das Alte Testament auch für Christen ein Buch der Offenbarung ist, war allerdings stärker.
Wurzelgrund. Dem entsprechend bekräftigt das Konzil, dass die Kirche von Israel „die Offenbarung des Alten Testamentes empfing und genährt wird von der Wurzel des guten Ölbaums, in den die Heiden als wilde Schösslinge eingepfropft sind. Denn die Kirche glaubt, dass Christus, unser Friede, Juden und Heiden durch das Kreuz versöhnt und beide in sich vereinigt hat.“ Ebenso erinnert das Dokument daran, dass nicht nur Jesus aus diesem Volk stammt, sondern auch die Apostel, „die Grundfesten und Säulen der Kirche, sowie die meisten jener ersten Jünger, die das Evangelium Christi der Welt verkündet haben“. Unüberhörbar klingt in diesem Text ein Gedanke des Paulus an. Ihn hat es ja besonders beschäftigt, warum so viele in seinem Volk Jesus nicht als den verheißenen Messias erkannt und angenommen haben. Um die Verbundenheit mit seinem Volk und die Hochachtung vor der Berufung dieses Volkes zum Ausdruck zu bringen, hat er daran erinnert, dass nicht der Stamm die Wurzel trägt, sondern die Wurzel den Stamm (vgl. Röm 11,18). Kein Grund für Antisemitismus. Zwar habe „Jerusalem die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkannt, und ein großer Teil der Juden hat das Evangelium nicht angenommen“. Aber – so betont das Dokument – die Juden sind nach wie vor „von Gott geliebt um der Väter willen“. Und was den jahrhundertealten Vorwurf der „Gottesmörder“ betrifft, stellt das Konzil klar, dass man Leiden und Tod Jesu „weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen“ dürfe. Man dürfe Juden daher „nicht als von Gott verworfen oder verflucht darstellen“, die Kirche „beklagt“ Verfolgungen, Hassausbrüche und Manifestationen des Antisemitismus. Karfreitagsfürbitte. In den letzten Jahren wurde das Verhältnis der Kirche zum Judentum vor allem in Zusammenhang mit einer Neufassung der Karfreitagsfürbitte (für den alten Messritus) diskutiert. Manche meinten, dass hier der Geist des II. Vatikanischen Konzils verraten werde; davon kann freilich nicht die Rede sein. Blickt man in die Vergangenheit, wird aber sichtbar, warum diese Fürbitte in der Karfreitagsliturgie ein besonders heikler Punkt ist. Über Jahrhunderte wurde hier „Für die ungläubigen Juden“ gebetet. Die Kniebeuge, wie sie bei allen anderen Fürbitten gemacht wurde, entfiel bei der Bitte für die Juden. Ein schrecklicher Affront. Ganz dem Wunsch des Konzils entsprechend, wird in der erneuerten Liturgie unter der Überschrift „Für die Juden“ für die gebetet, „zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will“. In der Fürbitte, die Papst Benedikt XVI. 2008 für den sog. älteren Ritus vorgelegt hat, wird darum gebetet, dass auch die Juden Christus erkennen mögen. Damit wird eigentlich nur zum Ausdruck gebracht, was Christen für alle Menschen und auch für sich selbst erbitten. An Judenmission oder Zwangsbekehrung ist dabei selbstverständlich nicht gedacht.
Serie "50 Jahre II. Vatikanisches Konzil", Teil 6 von 7