„Keiner hütet die Moral strenger als der heimliche Gesetzesbrecher.“ – Julian Roman Pölsler adaptiert mit „Wir töten Stella“ ein weiteres Werk von Marlen Haushofer.
Ausgabe: 2017/38
26.09.2017 - Markus Vorauer
Der Beginn hat hohen Wiedererkennungswert: ein Haus im Salzkammergut, ein Hund, eine Frau, wiederum verkörpert von Martina Gedeck, die ihren Gemütszustand schriftlich protokolliert: „Zwei Tage liegen nun vor mir, zwei Tage Zeit, um niederzuschreiben, was ich zu schreiben habe.“
Die bürgerliche Familie
Julian Roman Pölsler hat mit „Wir töten Stella“ jene Novelle von Marlen Haushofer adaptiert, die als eine Vorstudie zu ihrem berühmtesten Buch „Die Wand“ 1958 publiziert wurde. Auf 60 Seiten komprimiert diese Novelle schon die laborartige Versuchsanordnung des fünf Jahre später erscheinenden Hauptwerks der Schriftstellerin. Was fehlt, ist die dystopische Folie, die Novelle verankert das individuelle Dilemma der weiblichen Protagonistin noch viel stärker im bürgerlichen Kontext einer Vorzeigefamilie, die in „Die Wand“ nur noch als Reflex von Bedeutung ist. Haushofer hatte 1958, im Entstehungsjahr von „Wir töten Stella“, den Zahnarzt Manfred Haushofer, von dem sie sich 1950 getrennt hatte, wieder geheiratet, „weil man in Steyr nicht geschieden sein könne,“ wie sie lakonisch feststellte. So kann man „Wir töten Stella“ auch als Psychogramm einer bürgerlichen Familie lesen, in der die Definitionsmacht des Mannes alles bestimmt, während die Ehefrau ihre Rolle als Mutter und Repräsentationsobjekt auszufüllen hat. Das passive Ertragen der gegebenen Strukturen ist allerdings bequem und macht diese zur Mittäterin, „denn das ist, was ich wirklich möchte, in Ruhe leben können, ohne Furcht und ohne Erinnerung.“ Anna (Martina Gedeck) protokolliert in zwei Tagen und zwei Nächten, was mit Stella (Mala Emde) passiert ist. Sie hat als Freundschaftsdienst für zehn Monate unwillig die Studentin bei sich und ihrer Familie aufgenommen. Stella ist ein Eindringling in ein scheinbar funktionierendes Gefüge. Doch der Ehemann (Matthias Brandt), ein erfolgreicher Anwalt, verführt Stella. Sie wird schwanger, er veranlasst eine Abtreibung und lässt sie fallen, was sie zu einer Verzweiflungstat treibt: Sie läuft vor einen Lastwagen und erliegt den Verletzungen.
Eine Last
„Stella war für uns alle eine Last gewesen, ein Hindernis, das nun endlich aus dem Weg geräumt war.“ Pölsler filmt Gedeck beim Beobachten und Protokollieren, das mag nicht sehr filmisch sein, doch die deutsche Schauspielerin, deren Intonation immer irgendwie befremdlich wirkt, schafft es, die Kälte dieser Figur perfekt zu übermitteln, was sie nicht gerade sympathisch macht. Die „völlige Ausweglosigkeit des Kerkers“, wie es einmal im Text von Haushofer heißt, den Pölsler sehr genau wiedergibt, wird dadurch umso deutlicher. Die Einsamkeit von Anna löst jedoch kein Mitleid beim Rezipienten aus, und das, obwohl Matthias Brandts Performance als Ehemann an Ekelhaftigkeit kaum zu übertreffen ist. – „Keiner hütet die Moral strenger als der heimliche Gesetzesbrecher.“ Auch wenn dieser Satz auf den Ehemann bezogen scheint, ist Anna eine Mitschuld am Tod von Stella nicht abzusprechen. Ursprünglich sollte die Novelle „Wir morden Stella“ betitelt sein. Pölslers visuelle Umsetzung mag kalt wirken, aber sie ist die adäquate Entsprechung dieses alternativen Titels.