Der Verlauf der Weltgesellschaft der letzten 150 Jahre zeigt eine starke Entwicklung dahingehend auf, „dass unsere Welt als Schöpfung mehr und mehr ausgebeutet wird“, sagt Magdalena Holztrattner, Leiterin der Katholischen Sozialakademie Österreichs.
Magdalena Holztrattner: Der Raubbau an der Natur, die Ausbeutung und Zerstörung von Ressourcen wie Hölzer und Edelmetalle in Afrika und Lateinamerika, das Leerfischen der Meere, die Verschmutzung der Luft und der Gletscher etwa durch den Flugverkehr: Aufgrund unserer Lebensweisen werden Bedingungen geschaffen, die ein zukünftiges Leben von Menschen auf unserem Planeten gefährden. Es ist eine Lebensweise, die zunehmend unserer Mutter Erde Gewalt antut. Die Gefahr liegt begründet in einer Haltung, die ich den totalen Konsum nenne.
Was konkret meinen Sie damit?
Magdalena Holztrattner: Es ist eine Wirtschaftsweise, die nicht an die Gesellschaft und nicht an die Natur denkt. Es geht hauptsächlich darum, mehr und kurzlebigere Konsumgüter zu produzieren und nicht darum, auf Qualität und Nachhaltigkeit zu schauen. Ein Handy beispielsweise hat man keine 20 Jahre, sondern zwei Jahre; dann wird es kaputt und man muss sich ein neues kaufen. Geräte werden so gebaut, dass man sie nicht oder kaum reparieren kann. Das ist ein totaler Konsum, der irreversible, nicht wiederherstellbare Schäden an der Schöpfung, an der Natur hinterlässt. Und wir leisten uns einen Konsum, der auch Menschen in Armut bringt und in Armut hält, der Menschen auch tötet – so wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si’“ sagt: diese Wirtschaft tötet.
Sie sprechen da auch von Landraub, von Vertreibung und Ermordung von Menschen ...
Magdalena Holztrattner: Es werden nicht nur Menschen umgebracht z. B. in Lateinamerika, weil Großgrundbesitzer über Leichen gehen, um Rindfleisch zu produzieren oder Soja anzubauen, damit der eigene Markt, der europäische Markt oder der US-amerikanische Markt bedient wird; es werden auch im landwirtschaftlichen Bereich, in der Agroindustrie Mittel verwendet wie Glyphosat, die krankmachen. Dieser totale Konsum, der nicht auf Nachhaltigkeit hinzielt, betrifft auch die zeitliche Dimension und wirkt sich nicht nur auf die Menschen und die Natur heute aus, sondern auch in Zukunft. Ein Meer, das leergefischt ist, das ist morgen nicht wieder belebt. Eine Erde, die durch Quecksilber verseucht ist durch den Goldabbau, die ist morgen nicht wieder gesund. Ein fruchtbarer Boden, der zuasphaltiert wird, der ist morgen nicht wieder begrünt.
Was also tun, um dem Raubbau und der Gier entgegenzuwirken?
Magdalena Holztrattner: Es braucht eine Veränderung des Bewusstseins, es braucht eine Veränderung in den Haltungen – bei den Einzelpersonen, bei Menschen in der Erwerbstätigkeit, bei Menschen, die in der Zivilgesellschaft Einfluss nehmen in den Medien, bei Menschen, die Entscheidungen treffen auf wirtschaftlicher Ebene, auf politischer Ebene. Es geht um die Frage, welches Verständnis von Gesellschaft und Wirtschaft habe ich. Ist es ein Gesellschaftsbild, das auf Konkurrenz hin getrimmt ist, auf asoziales und unsolidarisches Verhalten? Und was bewirkt mein Tun und auch mein Nicht-Tun? Papst Franziskus hat das ebenfalls angesprochen in seiner Enzyklika: Kaufen ist auch eine moralische Handlung, nicht nur eine ökonomische. Wir leben alle auf dem gleichen Planeten, deswegen haben wir eine Verantwortung – für das soziale Zusammenleben und auch dafür, wie wirtschaftliche Formen unser Zusammenleben prägen. Und die Verantwortung gilt es auch zu leben, je nach Einflussbereich und Gestaltungsmöglichkeit. Jeder kann etwas tun – über Haltungen, über Einstellungen, über Stimmungen, die wir verbreiten.
Dieser Verantwortung der Schöpfung gegenüber nachzukommen gelingt ja nicht immer. Wie geht es Ihnen dabei?
Magdalena Holztrattner: Ich tu, was mir möglich ist, ohne dass ich dabei verkrampft bin. Gelassenheit ist wichtig. Ich habe vor kurzem einen Spruch gelesen von Fred Lux: „Entspannen Sie sich, das ist wahrscheinlich das Beste, was Sie zur Rettung der Welt beitragen können.“ Das heißt nicht, dass mir alles egal ist, sondern dass ich das, was mir möglich ist, tue, aber in der Haltung der Gelassenheit, in der Haltung des Entspannens, und auch in der Haltung, dass ich für meinen Lebensstil, so wie er jetzt ist, wahrscheinlich drei Erden brauche. Das ist natürlich viel zu viel. Es ist Unrecht, dass ich so lebe. Und trotzdem zu sagen, ja im Bereich meines Möglichen tu ich so viel, wie für mich gut ist. Das ist für manche zu wenig, für manche zu viel.
Es muss für einen selber passen ...
Magdalena Holztrattner: Und es muss so passen, dass ich glücklich bin, dass ich froh bin, dass ich entspannt bin, dass ich lachen kann, ohne unverantwortlich zu sein. Ein bisschen so, wie es im ersten Teil des Spruchs der Jesuiten heißt: Handle so, als ob alles von dir und nichts von Gott abhinge. Das bedeutet, mich engagieren und schauen, wo lege ich mein Geld an, wie viel sind mir Lebensmittel wert, wie kann ich meinen Ressourcenverbrauch gestalten, dass er für mich, für meinen Lebensstil und für unsere Gesellschaft passt und es trotzdem nachhaltig ist. Das ist die eine Seite. Und die andere Seite gemäß dem zweiten Teil des Spruchs – vertraue so, als ob alles von Gott und nichts von dir abhinge – lebe ich im Wissen, ich bin begrenzt, ich bin ein Kind meiner Zeit, ich habe Fehler, ich sehe viele Sachen nicht, ich habe auch meine Narzissmen und Egoismen und Bedürftigkeiten, die ich gestillt haben will.
Welche schöpfungsethischen Gedanken sind für Sie zentral?
Magdalena Holztrattner: Wenn wir daran glauben, dass wir beschenkt sind von Gott mit dieser Erde und mit unserem Leben auf dieser Erde als seine Schöpfung, dann ist die logische Konsequenz daraus, dass wir die anderen Menschen und die Mitwelt als Geschwister sehen und nicht als Objekte, die wir ausbeuten dürfen und mit denen wir nichts zu tun haben, weil sie anders aussehen, weil sie einen anderen Glauben haben, weil sie geflohen sind, weil sie in einem anderen Kontinent leben, weil sie einem anderen Milieu angehören. Wir sind alle Geschwister, ob wir wollen oder nicht. Und das kann führen zur Sorge umeinander und füreinander, zur Dankbarkeit und zur Freude aneinander und zur Achtsamkeit. Wir sollten wegkommen von einem individualethischen Bewusstsein und hinkommen zum Bewusstsein, alles ist mit allem verbunden. Es geht um Ganzheitlichkeit. Das hat auch mit Spiritualität zu tun. Über Gott hängen wir zusammen.
Im Hinblick auf ein gutes Leben für alle, bietet die ksoe immer wieder den Lehrgang „Soziale Verantwortung“ an. Worum geht es dabei?
Magdalena Holztrattner: Da geht es darum, Kompetenzen zu entwickeln, gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und zu schauen, wo kann ich etwas gestalten, wo kann ich etwas verändern; es geht darum, diese Kompetenzen in den Menschen zu stärken und sie zu befähigen, aktiv zu werden in der Gesellschaft, in der Kirche. Der nächste Lehrgang beginnt im Oktober, dauert zwei Jahre, ist berufsbegleitend und für jeden zugänglich, der sagt, mir ist es wichtig, dass ich an einer gerechteren Welt mitbaue; hier kann man sich nicht nur Instrumente dafür holen, sondern das eigene Tun und Denken in der Gesellschaft reflektieren und lernen, gemeinsam als Gruppe tätig zu werden.