In einem Raum treffen sich Kriegsflüchtlinge, Geschäftsleute, Studierende. Sie haben ein gemeinsames Ziel: die französische Sprache zu erlernen. Bernhard Braunsteins Dokumentarfilm „Atelier de conversation“ zeigt auf völlig unspektakuläre Weise gelebte Interkulturalität.
Ausgabe: 2018/06
06.02.2018 - Markus Vorauer
Das Bild ist schwarz, eine Stimme durchbricht die Stille: „Heute wollen wir über Klischees und Stereotypen sprechen. Was ist ein Klischee?“ Eine andere Stimme antwortet: „Eine Metrostation der Linie 13, Place de Clichy.“ „Ah, nein, Clichy, das ist etwas anderes.“ Dann hört man, wie gelacht wird, ehe das Schwarz durch die halbnahe Einstellung auf eine auf einem orangen Stuhl sitzende Frau aus China weggewischt wird: „Die Leute sagen mir, dass die Chinesen Hunde essen.“ Und es wird wieder gelacht.
Verschiedene Kulturkreise
Der Beginn von Bernhard Braunsteins Film „Atelier de conversation“ gibt uns noch keine Auskunft über den Ort, an dem sich die Kamera befindet. In abwechselnden Einstellungen werden Menschen, die aus verschiedenen Kulturkreisen stammen, halbnah aufgenommen, während sie auf Französisch über das oben erwähnte Thema sprechen. Das sprachliche Niveau ist unterschiedlich, das hört man nicht nur, sondern sieht man auch an den mimischen
Ein gemeinsames Ziel
Nicht alle verstehen alles, was da gesprochen wird, jede und jeder bekommt aber genügend Redezeit. Erst nach sechs Minuten wird dann in einer Totale der abgeschottete Raum gezeigt, in dem 13 orange Stühle in einem Sitzkreis angeordnet sind. Der Raum wirkt wie eine Bühne. Nach und nach wird in den folgenden 60 Minuten der Raum „geöffnet“: Er befindet sich in der „Bibliothèque publique d’information“ des Centre Pompidou in Paris, wo sich wöchentlich Menschen aus allen Erdteilen treffen, um Französisch zu sprechen. Die Zusammensetzung dieser Gruppen könnte nicht heterogener sein: Da treffen sich Kriegsflüchtlinge, Geschäftsleute, Studierende. Sie alle haben ein gemeinsames Ziel, nämlich die Sprache in einer angenehmen Atmosphäre zu lernen.
Eigene Erfahrung
Der aus Salzburg stammende Dokumentarfilmer Bernhard Braunstein hat 2009 die gleiche Erfahrung machen müssen, als er nach Paris zog und durch Zufall auf diese Konversationsgruppen aufmerksam wurde, weil er schnell merkte, wie schwierig es ist, eine Sprache zu lernen. Ein Jahr lang war er selbst Teilnehmer dieser Runden, bevor er sich entschloss, diesen Film zu drehen, der in unaufdringlicher Weise einen Begegnungsraum zeigt, in dem sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen in einer Fremdsprache austauschen können. Nicht immer ist das so erheiternd wie am Beginn, oft dringen politisch heikle Themen in diesen geschützten Raum ein, auch persönliche Befindlichkeiten lassen sich nicht einfach wegdiskutieren, aber die Ruhe, die von diesem Ort und auch von denjenigen ausgeht, die diese Gespräche leiten, die übrigens nie vor dem Kameraauge erscheinen, lässt jede überbordende Emotionalität im Keim ersticken. Selten wurden Möglichkeiten einer gelebten Interkulturalität auf der Leinwand so nachahmenswert gezeigt. Vielleicht bedarf es aber eines geschlossenen, ja fast geschützten Raumes, um das umsetzen zu können. Auch das kann man als politisches Signal verstehen. «
Tipp: Filmgespräch mit Markus Vorauer und dem Regisseur Bernhard Braunstein: am Freitag, 16. Februar 2018, um 20 Uhr, Moviemento Linz.