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Aus Berlin oder Speyer oder auch aus Salzburg – 20 Männer und Frauen sind gekommen, um Wien vier Tage lang unter einem besonderen Gesichtspunkt kennenzulernen. Sie begeben sich auf die Suche nach „biblischen Schätzen“. Neben Belvedere, Albertina und Stift Klosterneuburg ist das Kunsthistorische Museum für ihr Interesse eine Goldader. Schon nach wenigen Schritten, die die Gruppe in der Gemäldegalerie zurücklegt hat, steht sie vor Meisterwerken Rembrandts, und zwei Räume weiter versammelt Toni Kalkbrenner seine Leute wiederum um ein Bild: den „Turmbau zu Babel“ von Pieter Bruegel dem Älteren (verstorben 1569). Kalkbrenner, der über zwanzig Jahre im Österreichischen Bibelwerk Klosterneuburg tätig war, hatte die Idee, vor Kunstwerken die Bibel zu lesen. Unterstützt wird er von der Wiener Kunsthistorikerin und Malerin Silvia Rainer.
Das Erste sind einmal die Freude und das Staunen der Teilnehmer/innen an der „Biblische Schätze“-Tour, das man spürt, wenn man mit ihnen im Halbkreis vor dem „Turmbau zu Babel“ steht. Und sie sagen es auch: „Wow, das also ist das Original. Ist das nicht schön, ein Geschenk, dass wir das sehen dürfen!“
Dann ergreift die Kunstgeschichtlerin Rainer das Wort. Macht darauf aufmerksam, dass der Turm an das Kolosseum in Rom erinnert, das Bruegel bei seiner Romreise gesehen hat, weist auf die noch wahrnehmbaren Vorzeichnungen hin, die Einblick in die Malweise des Künstler erlauben. Rainer gibt Informationen, die das Werk erschließen helfen, lässt aber auch genug Raum für die Bibel, die nun ins Spiel kommt. Das Buch Genesis erzählt vom Turmbau zu Babel. Vermutlich beschreibt die Geschichte das Mammutprojekt des Assyrerkönigs Sargon II., der ab 717 vor Christus eine neue Hauptstadt mit Palastturm aus dem Boden stampfte. Das Bauwerk sollte Ausdruck für die Macht eines einzigen unumschränkten Herrschers, eines Reiches, einer einzigen Sprache und Einheitskultur sein. Es sei das erste Globalisierungsprojekt der Welt gewesen und es sei gescheitert, was sich in der Sprachverwirrung zeige, erklärt Kalkbrenner. Die Bibel übt eine versteckte, aber fundamentale Kritik an der Herrschaft Sargons II. Die Antwort auf den Turmbau findet sich dann im Neuen Testament. In der Pfingstgeschichte ist zu lesen, dass die Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern einander wieder verstehen.
Ein Entwicklungshelfer, der Jahrzehnte in Brasilien war und die „Biblische Schätze“-Tour mitmacht, steht noch vor dem Kunstwerk, als die Gruppe schon weitergegangen ist: „Bruegels Bild spricht von der Welt heute. Die Globalisierung will alles vereinheitlichen, damit die Großen alles beherrschen können.“ Als er näher hingeht, fällt ihm auf, wie viele kleine Leute am Bau mitarbeiten. „Die Großen benutzen die Kleinen.“ Diese Mechanismen kennt er bestens von seiner Arbeit in Brasilien. „Wir brauchen eine menschliche Globalisierung, eine nachhaltige, bei der nicht die Kleinen unter die Räder kommen. Ja, Pfingsten ist die Antwort.“ Er beeilt sich, wieder Anschluss zu finden.
Gegen den „Turmbau zu Babel“ ist das Bild von Peter Paul Rubens (oben), mit dem sich die Gruppe gerade beschäftigt, eine harmlose Idylle – auf den ersten Blick. Von den Farben her ist es ein frohes Bild, und die Engel, die durch die Äste des dicht behangenen Apfelbaums turnen, vermitteln ebenfalls eine Beschwingtheit und Leichtigkeit wie die zwei Elternpaare mit ihren Kindern. Das Werk trägt – nicht ganz zutreffend – den Titel „Die heilige Familie unter dem Apfelbaum“. Denn es zeigt zwei Familien: Zacharias und Elisabeth mit ihrem Sohn Johannes, dem späteren Täufer, auf der einen und Jesus, Maria und Josef auf der anderen Seite. Die Szene war ursprünglich auf zwei Bilder aufgeteilt, die die Außenseiten eines Flügelaltars bildeten. Was wie eine Darstellung eines netten biblischen Verwandtschaftstreffen erscheint, ist ein Werk voll von Theologie. Es zeige einmal, dass das Alte, das Erste Testament und das Neue Testament zusammengehörten, erläutert Kalkbrenner. Auch Apfelbaum und Äpfel sind nicht zufällig als Motive gewählt. Die Frucht erinnert an den Baum im Paradies, der fälschlicherweise als Apfelbaum bezeichnet wurde, sowie an die gesamte Erzählung vom Garten Eden und dem Fall des Menschen. Zacharias reicht Jesus einen kleinen Ast mit zwei Äpfeln und weist damit auf die Sendung Jesu hin: die Menschen von der Sünde zu erlösen. Die beiden Äpfel befinden sich genau im Schnittpunkt der Diagonalen des Bildes und bilden damit das Zentrum dieses Werks von Rubens und des Lebenswerks Jesu zugleich. Mit den zwei Hasen am rechten unteren Bildrand hat Rubens ein Symbol der Auferstehung platziert. In der Mythologie werden Hasen als Tiere beschrieben, die mit offenen Augen schlafen. Darin sah man einen Hinweis auf die Auferstehung. Wenige Erläuterungen des Theologen Kalkbrenner genügen, und schon beginnt das Bild zu leben und die Bibel lebendig zu machen. Das beeindruckt seine Gruppe – vom Pfarrer bis zu der Frau, die von sich sagt, dass sie Atheistin ist.
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