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Was auf der Bühne funktioniert, klappt im Alltag nicht immer: Menschen aus verschiedenen Kulturen machen gemeinsame Sache. Oft hat man den Eindruck, dass Bevölkerungs- und Randgruppen von der Politik bewusst gegeneinander ausgespielt werden. Wie erleben Sie das?
Martin Grubinger: Die politische Situation in Österreich finde ich sehr schwierig. Mitmenschlichkeit, Barmherzigkeit, Nächstenliebe und humanistische Grundhaltungen sind für mich einfach wichtig. Die Frage ist, geht es den Österreichern besser, wenn es anderen noch schlechter geht, wenn man sie noch unwürdiger behandelt? – Weil das von der Mehrheitsbevölkerung politisch gewollt ist? Bei der FPÖ wussten wir es. Die FPÖ zeigt das politische Gesicht, das sie die letzten Jahre und auch im Wahlkampf präsentierte, aber die ÖVP, als eine vermeintliche Europa-Partei, die sich zu ihren christlich-sozialen Wurzeln bekennen möchte, da merke ich nicht mehr viel davon.
Die Sicherungshaft wird nun von der Regierung propagiert, Aufnahmezentren für Asylwerbende wurden in Ausreisezentren umbenannt. Was sagen Sie dazu?
Grubinger: Stichwort: Präventivhaft. Wollen wir wirklich Leute vorsorglich wegsperren? Auf welcher rechtlichen Basis? – Das ist zuletzt vor 80 Jahren in einem der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte passiert. Der Innenminister sagte dazu, dass darüber ein Beamter oder ein Psychologe entscheidet. Das ist völlig indiskutabel. Da müssen wir Widerstand leisten. Nur glaube ich, dass der Widerstand nicht so sein kann, dass wir uns abwenden oder wegducken. Wir müssen auf die Leute zugehen und versuchen sie zu überzeugen – mit Argumenten, mit Haltung und Prinzipien, mit Loyalität.
Ich schreibe seit kurzem für die Kronen Zeitung und hoffe ein breiteres Publikum zu erreichen, um über verschiedene Themen ins Gespräch zu kommen. Die Gesprächsverweigerung hilft nur jenen, die das Miteinander nicht mehr wollen. – Ich bin überzeugt, wir sind ein zutiefst hilfsbereites Land, wenn ich an die Hilfsaktionen wie Nachbar in Not oder die Balkankrise denke: Wir sind gut, wir haben das in uns, auch wenn uns die FPÖ glauben machen will, dass wir nicht so sind.
Was erwarten Sie sich hier von der Katholischen Kirche?
Grubinger: Sicherungshaft, Ausreisezentrum, Asylindustrie. – Wir haben uns an viele Grauslichkeiten gewöhnt. Die christliche Lehre wird hier mit Füßen getreten. Wir reden jetzt nicht von Liberaliseriung in der Wirtschaft oder strengerer Gesetzgebung im Sozialbereich. Wir reden von den Grundrechten, von den Menschenrechtskonventionen, wir reden über Dinge, die uns in Europa 80 Jahre lang Frieden gebracht haben. Das stellt diese Regierung infrage! – Ich freu mich sehr, dass von Seiten der Kirche hier klarere Worte kommen, und ich würde mir noch mehr wünschen. – Das ist auch der Grund, warum ich mich wieder viel mehr der Kirche zugehörig fühle. Es gibt viele Leute, die Stellung beziehen gegen Rassismus und Menschenhetze: Bischof Manfred Scheuer hat sich klar dazu geäußert, die Caritas mit Michael Landau und Kardinal Christoph Schönborn. Was mit der Caritas in den Weihnachtsferien gemacht worden ist – diese Kampagne bzgl. Asylindustrie –, das war an Niedertracht nicht zu überbieten. Jene, die beim letzten Mal eine der beiden Regierungsparteien gewählt haben und die sich in der Pfarrgemeinde engagieren und Flüchtlingen helfen, die müssen sich schon fragen, ob die Politik dieser Parteien ihre Werthaltungen widerspiegelt.
Die Europawahlen stehen an. Sie sind begeisterter Europäer. Was braucht Europa?
Grubinger: Was Europa betrifft, bin ich Enthusiast. Wenn wir wollen, dass es so bleibt wie es ist: die wunderbare Landschaft, das Lebensgefühl, die Kultur, die Lebensqualität, fast keine Grenzkontrollen, die ganze Bandbreite dessen, was diesen Kontinent ausmacht, wenn wir das wollen, dann brauchen wir mehr Europa. Mein Traum sind die Vereinigten Staaten von Europa. Weil ich glaube, dass die großen Fragen der Zukunft, Umwelt, künstliche Intelligenz, Digitalisierung, Sozialstaat in einem großen Europa geklärt werden können. Wieso kommen die Leute aus Asien nach Europa? In Europa gibt es das alles, was es für ein gutes Leben braucht. Wir haben jedoch zugelassen, dass wirtschaftliche Interessen im Vordergrund standen und es nur mehr darum ging, wie können wir den freien Markt, freien Güter- und Personenverkehr fördern, wie können wir das alles maximieren. Wir haben zu wenig gefragt, wer ist auf der Strecke geblieben, wer hat hier nur Unterdrückung und Knechtschaft erlebt, da ist ein großer Fehler gemacht worden. Wir müssen darauf schauen, wie wir den Kontinent grundsätzlich gestalten wollen und dürfen nicht nur wirtschaftliche Erfolge im Blick haben.
Martin Grubinger, 4. Juli: Heimspiel 4.0 von Bach bis Williams
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