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Journalist und Historiker Johannes Reitter hat sich diesen Gruppen in Fallbeispielen gewidmet – inklusive der eigenen Familiengeschichte.
„Man kann nicht nicht kommunizieren“, hat der Psychologe und Kommunikationsforscher Paul Watzlawick einmal formuliert. Mit anderen Worten: Auch Schweigen sagt etwas aus, wenn auch schwieriger zu beantworten ist, was. Johannes Reitter hat zunächst 11 Fälle analysiert, in denen ein Familienmitglied Opfer des NS-Regimes war, worüber aber geschwiegen wurde.
Da sind Personen entweder selbst Überlebende von Konzentrationslagern oder haben dort Angehörige verloren. Reitter schildert detailliert die Lebensgeschichten vor und während des Zweiten Weltkriegs und wie danach damit umgegangen wurde. Nach einem Pakt des Schweigens ist es vor allem die Enkelgeneration, die Dinge mehr oder minder bewusst zum Vorschein bringt.
Im Falle der eigenen Familie hat Johannes Reitter erst 2015 vom Todesurteil gegen seinen Großonkel Johann Reiter (mit nur einem „t“) erfahren, der 1940 hingerichtet wurde, weil er im Streit einen Unteroffizier getötet hatte und dabei auch selbst verletzt worden war. Hintergrund dürfte Befehlsverweigerung gewesen sein.
Während in den Familien mit Opfern die Angst vor Retraumatisierung ein Grund für das Schweigen sein kann, stehen Angehörige von Täter/innen mitunter vor der Herausforderung, mit der dunklen Geschichte eines Familienmitglieds zurechtkommen zu müssen – und mit Scham.
Reitter analysiert auch zehn solche Fälle, wobei manche bereits bekannt sind, wie jener von Jennifer Teege, der Enkelin von SS-Hauptsturmführer Amon Göth (seine Verbrechen sind bekannt aus dem Spielfilm „Schindlers Liste“).
Reitter hat in seinem Buch klar herausgearbeitet, dass es sowohl in Familien mit Täter/innen als auch mit Opfern eine Strategie war, mit der dunklen NS-Vergangenheit umzugehen – und wie lange dies anhalten konnte. «
J. Reitter: Ein Mantel des Schweigens. Der Umgang mit der NS-Geschichte in Opfer- und Täterfamilien, Böhlau-Verlag 2022, 411 Seiten, € 47,–
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