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Günter Schwaiger, der in Neumarkt/Salzburg geborene und jetzt zum großen Teil in Spanien lebende Dokumentarfilmer, hat seinen ersten Spielfilm gedreht, der in direkter thematischer Verbindung zu seiner Dokumentation „Marthas Koffer“ aus dem Jahr 2013 steht, in der er eine Frau porträtiert, die einen Mordversuch ihres Mannes überlebt hat.
„Der Taucher“ beschäftigt sich nun ebenfalls mit familiärer Gewalt an Frauen. Bestärkt wurde Schwaiger durch die unrühmliche Tatsache, dass in Österreich im Jahr 2018 41 Frauen von ihren Partnern bzw. Ex-Partnern oder nahen Familienangehörigen ermordet wurden, was im europäischen Ranking eine Spitzenposition bedeutet.
Bedeutsam ist die soziale und örtliche Situierung seiner Geschichte. Die Wienerin Irene (Franziska Weisz) lebt mit ihrer 18-jährigen Tochter Lena (Julia Franz Richter) auf Ibiza. Lena maturiert gerade und auch Irene möchte ihr abgebrochenes Studium wiederaufnehmen. Das innige Verhältnis der beiden wird durch die Rückkehr von Irenes Ex-Partner Paul (Alex Brendemühl) mit seinem Sohn Robert (Dominic Marcus Singer) jäh gestört. Die Weltkarriere Pauls als Komponist und Musiker ist gefährdet, weil er sich vor Gericht für seine schweren Misshandlungen an Irene verantworten muss. Er versucht daher auf Irene einzuwirken, ihre Anzeige zurückzuziehen. Eine ordentliche Summe Geld soll ihr die Entscheidung erleichtern.
Die großartig gestaltete Titelsequenz gibt die Stimmung vor. Lena sieht sich auf ihrem Laptop einen Animationsfilm ihres an Krebs verstorbenen leiblichen Vaters an, während Irene an ihrer Schulter einschläft. Der Film zeigt das traurige Schicksal eines Esels, der von einer Frau und einem Mann in einer kargen Landschaft mit Wasser angelockt und dann zu schwerer Arbeit genötigt wird. Die Geschichte versetzt Lena in eine melancholische Stimmung. Dann erfolgt eine Überblendung auf einen beleuchteten Swimmingpool, an dem Robert ebenfalls auf den Bildschirm eines Laptops blickt und schließlich in ein gestyltes Badezimmer, in dem Paul verlassen sitzt und vor sich hinstarrt. – Die Beziehungskonstellationen sind damit abgesteckt: einerseits Irene, die sich bei ihrer Tochter geborgen fühlt und Lena, die den Tod ihres leiblichen Vaters zu verarbeiten versucht. Anderseits Robert, der alleine am Pool sitzt und wahrscheinlich ebenfalls einen Film ansieht, den er gedreht hat und der seine Familie noch intakt zeigt. Er will vor allem das Bild seiner Mutter, die wegen der Misshandlungen seines Vaters Selbstmord begangen hat, für sich bewahren. Paul wiederum ist ein einsamer, nur auf Erfolg fokussierter Mensch, der seinen Sohn als Manager an sich bindet. Die Geschichte des Esels verweist auf den gefährlichen Zusammenhang von Verführung und Abhängigkeit, der in weiterer Folge entscheidend wird. Ähnlich wie der Esel gerät Irene in die Falle von Paul, der sie körperlich und materiell verführt, und als sie nicht so reagiert, wie er will, wieder gewalttätig wird. Als Lena davon erfährt, beginnt sich das Beziehungsgeflecht der vier Protagonisten gefährlich zuzuspitzen.
Günter Schwaiger verankert seine Geschichte in einem sozialen Milieu, mit dem man häusliche Gewalt nicht unbedingt verbindet. Immer wieder konfrontiert er die noble Villa von Paul mit der eher klein wirkenden Wohnung von Irene. Dadurch wird auch Irenes Verhalten verständlich, das attraktive finanzielle Angebot von Paul anzunehmen. Abhängigkeiten ergeben sich aus materiellen und emotionalen Gründen. Ein aufwühlender Film mit einer klaren Botschaft: Nicht die Täter muss man verstehen, sondern die Opfer.
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