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Fanni steigt aus. In Karin Peschkas neuem Buch begegnen wir der Hauptperson aus „FanniPold“, dem zweiten Roman der Autorin, wieder. Wieder auferstanden sozusagen. Sie ist immer noch stellvertretende Abteilungsleiterin in einem kleinen Supermarkt in Laurinz, einem fiktiven Dorf in Oberösterreich. Nicht nur sie selbst, auch die Kinder sind älter geworden, aber nicht unbedingt unabhängig von mütterlichen Dienstleistungserwartungen. Der Ehemann lebt nur noch auf die Pension hin. Die Freundin, mit der sie sich über Wesentliches austauschen konnte, stirbt. Fannis Unzufriedenheit wird in ihrer engsten Umgebung als psychisches Problem gesehen, das zum Zweck der Wiederherstellung ihrer Funktionstüchtigkeit therapiert werden soll. Doch anstatt zur Therapie zu fahren, macht Fanni sich auf eine Reise mit vorerst unbekanntem Ziel und landet schließlich auf einer im Familienbesitz befindlichen, aber schon lang vernachlässigten Pinzgauer Alm. Sie trifft ihre Jugendliebe wieder und lernt auf weiteren Reisen eine gar nicht kleine Anzahl origineller Menschen jeden Alters kennen, die eines gemeinsam haben: Sie wollen sich nicht unter das Diktat gesellschaftlicher Zwänge stellen und sie gehen offen mit ihren Problemen um.
In den einzelnen Kapiteln des Romans beschreibt Karin Peschka aus der Perspektive Fannis einerseits das sich langsam formierende Zusammenleben auf der Alm, dessen Regeln statutarisch in einem Verein namens „Accursia e.V.“ festgeschrieben werden, andererseits in Rückblenden Fannis Ausflüge, wo sie die einzelnen Mitbewohner/innen kennen lernt und die Mitbewohner/innen selbst. Die aus Eferding stammende Karin Peschka, die ihrer Selbsteinschätzung zufolge einen Hang zu düsteren Geschichten hat, läuft nicht Gefahr, das Aussteigerleben zu idealisieren. Sie zeichnet sich nämlich auch durch eine fundierte Menschenkenntnis aus und durch einen hintergründigen Humor. „Putzt euch, tanzt, lacht“ – ein Zitat aus „Illuminationen“ von Arthur Rimbaud – ist eine sprachlich hervorragende, sehr reflektierte Geschichte über Widerstand und Gelassenheit, über Liebe und die Besinnung auf das Wesentliche.
Karin Peschka: Putzt euch, tanzt, lacht, Otto Müller, Salzburg 2020, 310 S., € 23,60.
Es ist die Geschichte ihrer Herkunft, die Monika Helfer in ihrem neuen Buch erzählt. Sie beginnt mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Maria und Josef Moosbrugger leben mit ihren damals vier Kindern am äußersten Rand eines Dorfes im Bregenzer Wald in bescheidenen Verhältnissen einer kleinen Landwirtschaft, noch unberührt vom langsam aufkommenden Fortschritt. Josefs Vater und Großvater waren Träger gewesen, die „im Sommer übermannshohe Heuballen in die Scheunen der Bauern trugen“ und sonst auf der Suche nach Arbeit von Hof zu Hof zogen. Deshalb nannte man sie „die Bagage“. Als einer der wenigen im Dorf wird Josef gleich zu Kriegsbeginn zur Armee eingezogen. Maria und ihre Kinder, die ältesten gerade etwas über 10 Jahre alt, müssen die Arbeit allein bewältigen und sind abhängig vom Bürgermeister, den Josef beauftragt hat, auf seine ungewöhnlich schöne Frau „aufzupassen“. Einmal lernt sie auf dem Markt in Bregenz einen Mann kennen, der aus Hannover kommt und Maria einmal besucht. Als sie schwanger wird und eine Tochter auf die Welt bringt, erreicht die Gehässigkeit der Dorfbewohner, angeführt vom Pfarrer, ein erschreckendes Ausmaß. Josef kehrt aus dem Krieg zurück. Zwei weitere Kinder kommen zur Welt. Mit der in seiner Abwesenheit geborenen Tochter soll er Zeit seines Lebens kein einziges Wort gesprochen haben. Sie ist die Mutter der Erzählerin. Monika Helfer ist eine Meisterin der Reduktion. In beeindruckender Knappheit von 158 Seiten und in einer dichten und klaren Sprache öffnet die Autorin den Kosmos einer Familiengeschichte, die sich über ein ganzes Jahrhundert erstreckt, und legt die wesentlichen Aspekte frei, die über die Generationen wirksam sind. Ein Buch, das lange nachwirkt.
Monika Helfer: Die Bagage, Carl Hanser, München 2020, 158 S., € 19,60.
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