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„Wenn der Vater übers Feld ging, wusste das Getreide, dass es wachsen musste; die Äpfel färbten sich rot und die Mostbirnen füllten sich mit hantiger Süße und später schäumte der Most im Fass und der Vater war zufrieden, alles fügte sich seinem Willen.“ Dieser Satz beschreibt eindringlich das Milieu, in dem Franz, geboren in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts, als dritter Sohn auf einem Mühlviertler Bauernhof aufwächst, wo das Leben überwiegend von Mühe bestimmt ist. Einzig die Verantwortung für seine geliebte Schwester Elfi, die ihn liebevoll „Fanzi“ nennt, hellt den Alltag auf. Der Zweite Weltkrieg bricht aus, die älteren Brüder werden einberufen und kommen nicht mehr zurück. Elfi erkrankt schwer. Sie wird in die sogenannte Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart gebracht, wo sie – wie so viele beeinträchtigte Kinder – ermordet wird. Franz muss Bauer werden, heiratet seine große Liebe, bleibt allerdings bis ins hohe Alter ein in sich gekehrter Mensch. Erst seine Enkelin Astrid kann ihn mit ihren Fragen zum Reden bewegen. In sich abwechselnden Kapiteln lässt Elisabeth Schmidauer den alten Franz und Astrid erzählen. Es gelingt der Autorin sehr gut, die beiden Erzählebenen miteinander zu verschränken und in einer authentischen Sprache auszudrücken. So werden die Auswirkungen verschwiegener Ereignisse und ungelöster Konflikte deutlich und ein versöhnlicher Ausgang liegt nahe. Trotz aller Schwere, die der Thematik geschuldet ist, ein gelungener Familienroman gegen das Verdrängen und Vergessen.
Elisabeth Schmidauer: Fanzi. Wien: Picus Verlag 2021, 267 S., € 22,70
Der von der Literaturkritik hoch gelobte Erstlingsroman der in Bad Ischl geborenen und in Voralberg und der Schweiz lebenden Sarah Kuratle ist eine märchenhafte Geschichte um zwei Nachbarskinder – Greta und Jannis –, die einander innig zugetan sind, allerdings aufgrund längst vergangener Vorkommnisse kein Liebespaar werden dürfen. Ein Geheimnis ihrer Familien, ein Geröllfeld, bald ein ganzer Gebirgszug liegt zwischen ihnen. Während Jannis in der Stadt bleibt, zieht sich Greta ins letzte Dorf im Gebirge zurück, wo vieles anders ist, als es scheint. Mit ihrer Großtante Severine kümmert sie sich um ausgesetzte Kinder, die anders sind, als man von ihnen erwartet hat. Täglich schimpft Severine über die Väter und schweigt über die Mütter. Eine hochpoetische, sprachlich hervorragende und anspruchsvolle Erzählung über das Eigentliche hinter dem, was recht und richtig scheint.
Sarah Kuratle: Greta und Jannis. Vor acht oder in einhundert Jahren, Salzburg-Wien: Otto Müller 2021, 229 S., € 22,70
Carlo Weiß ist Landschaftsgärtner. Privat lebt er ein einsames Leben. Seine Frau Ana, die er immer noch liebt, hat ihn wegen mangelndem Einfühlungsvermögen verlassen. Die gemeinsame Tochter Mina macht ein Praktikum in London und meldet sich selten. Lediglich mit Agon, seinem Gehilfen in der Gärtnerei, einem Kosovo-Albaner, der früher Französischlehrer war, verbindet ihn so etwas wie Freundschaft. Zwei Ereignisse stören dann den ereignislosen Alltag. Agon wird aus heiterem Himmel zusammengeschlagen. Das ist rätselhaft, hat aber wohl mit seiner Vergangenheit im Krieg zu tun. Und Carlos Mutter, die in einem Altenheim lebt, verschwindet eines Tages. Carlo findet sie in einem ehemaligen Luxushotel in den Bergen, wo sie in ihrer Jugend während des zweiten Weltkriegs eine Liebschaft hatte, von der ihre spätere Familie nie erfuhr. Roland Buti, der 2014 den Schweizer Literaturpreis erhielt, erzählt in einer ruhigen und einfühlsamen Sprache, die die Figuren im Roman lebendig erscheinen lassen. Leider aber bleiben die angerissenen Erzählstränge etwas in der Luft hängen. Wie in einem wilden Garten eben.
Roland Buti: Das Leben ist ein wilder Garten. Wien: Paul Zsolnay 2020, 172 S., € 20,90
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