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Nicht alle haben die Ehre, bei Herrn und Frau Gauß in Salzburg eingeladen zu sein. Doch mit seinem neuen Buch lädt der Autor seine ganze Leserschaft in die Salzburger Wohnung. Wie ein umgekehrter Schiffsrumpf bildet diese das Obergeschoß eines 1896 errichteten, von der Altstadt stadtauswärts gelegenen, Hauses. Die Wohnung birgt viele Erinnerungsstücke, Bücher vor allem.
Und Karl-Markus Gauß‘ Reise durch die Wohnung führt zu vielen seiner Geschichten. Alles beginnt zu erzählen: die Bilder an den Wänden, die Tassen, die als Souvenirs in der Wohnung gelandet sind, das handgeschriebene Kochbuch der Oma aus Novi Sad, das mitzunehmen ihr wichtig war, damals, als sie als Donauschwaben ihre Heimat verlassen mussten. Da wäre der Schreibtisch selbst, der sich gegen eine Renovierung sträubte, der Brieföffner mit der Inschrift der Firma Eternit, der Gauß die Geschichte des Firmengründers Ludwig Hatschek erzählen lässt. Er hat Asbest als „Baustoff für die Ewigkeit“ entdeckt – von der tödlichen Wirkung der Faser wusste man noch nichts. Gauß ist als Reisender durch die Ränder Europas bekannt geworden. Das Buch erzählt solche Randgeschichten anhand von mitgebrachten Gegenständen. Bis hin zum Stein, der heute im Blumentrog liegt. Von Joe Kemptner, einem der frühen Ökosozialen, hat er ihn knapp vor dessen Tod bekommen. Bis zuletzt ist Kemptner ein fröhlicher Mensch gewesen. Den Stein hatte er aus der Soca, die die Italiener Isonzo nennen, gefischt. Da sind wir schon wieder mittendrin – in Europa. Ein wunderbares Lesevergnügen und äußerst lehrreich, wie immer bei Gauß.
Karl-Markus Gauß: Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer. Zsolnay, Wien 2019, 220 S., € 22,70. ISBN 978-3-552-05923-8
Die junge, in Salzburg geborene Autorin Laura Freudenthaler ist für ihren Debütroman „Die Königin schweigt“ mehrfach ausgezeichnet worden. In ihrem kürzlich erschienenen Roman „Geistergeschichte“ erzählt sie von Anne, einer aus Frankreich stammenden Klavierlehrerin. Sie ist um die Fünfzig, kinderlos und seit 20 Jahren mit dem Österreicher Thomas verheiratet. Doch länger schon ist die Gemeinsamkeit verschwunden. Anne wie auch ihr Mann leben ihr je eigenes Leben. In der gemeinsamen Wohnung sehen sie sich selten. Verschiedene Zeichen deuten darauf hin, dass Thomas eine Affäre mit einer jungen Frau hat.
Anne hat sich ein Freijahr genommen, um an einem Lehrbuch zu arbeiten und mehr Zeit für das eigene Klavierspiel zu haben. Doch der Plan geht nicht auf. Das Klavierspielen fällt ihr zunehmend schwer. Schlaf- und ruhelos wandert sie durch die Stadt, sitzt in Kaffehäusern und schreibt ihre Beobachtungen auf, trifft sich mit einer Freundin, telefoniert mit ihrer Mutter, erinnert sich an Ereignisse der vergangen Jahrzehnte, zum Beispiel an Geschehnis in einem Sommerhaus, in dem sie viel Zeit mit Thomas verbracht hat. Und sie spinnt sich in ihre Gedanken und Phantasien ein. Es ist die Kunst der Autorin, die Ebenen von Realität und Fiktion so in Schwebe zu halten, dass es einem als Lesende/r wie der Protagonistin ergeht. Was tatsächlich stattfindet und was sich nur in Annes Phantasie ereignet, bleibt offen, lässt sich nicht eindeutig sagen. Ein ruhig erzähltes, sprachlich hervorragendes literarisches Kunstwerk.
Laura Freudenthaler: Geistergeschichte. Roman. Droschl-Verlag, Graz 2019, 168 S., € 20,–. ISBN 978-3-99059-025-6
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