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Alle würden wissen, „dass die Kirche Bestimmungen, die sie getroffen hat, auch abändern und aufheben kann“: Nein, das stammt nicht von einem Kirchenrevoluzzer. Er wurde von einem Papst veröffentlicht: Pius XII. Und es ging nicht um irgendwelche Bestimmungen, sondern um den Wesenskern eines Sakraments: Wird die Priesterweihe durch Handauflegung vollzogen oder durch die Überreichung von Kelch, Patene und Hostie, wie das bis 1948 galt?
Die Erkenntnis, dass das ordentliche Lehramt, möglicherweise sogar das außerordentliche Lehramt des Papstes, wie selbstverständlich von Pius XII. abgeändert wurde, ist zweifellos das aufsehenerregendste Ergebnis der insgesamt extrem spannenden kirchenhistorischen Dissertation von Matthias Daufratshofer. Er ist Schüler des bekannten Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf, der auch das Geleitwort geschrieben hat. Insgesamt bietet das Buch aber auch andere hochinteressante Einblicke, denn vor allem zeichnet es den Einfluss des Moraltheologen Pater Franz Hürth SJ auf das Lehramt der Päpste Pius XI. und Pius XII. anhand dreier Dokumente nach: Der ehe- und sexualethischen Enzyklika „Casti connubii“ (1930), der eingangs zitierten Konstitution „Sacramentum ordinis“ (1947) und der Bulle zur Dogmatisierung von Mariä Himmelfahrt (1950).
Konsequenzen für Millionen Katholik/innen hatte „Casti connubii“ nicht nur deshalb, weil darin eine schon in den 1930er Jahren umstrittene Ehemoral inklusive Nein zur künstlichen Empfängnisverhütung enthalten ist. Wirkmächtig war sie auch, weil sich Paul VI. 1968 mit dem Argument der angeblich immer gleich bleibenden Lehre nicht traute, die Bestimmungen zur Empfängnisregelung zu ändern. Die Folgen waren die Pillenenzyklika „Humanae vitae“ und der weitgehende Verlust kirchlicher Autorität in Fragen der Sexualmoral. Dass in „Casti connubii“ der Jesuit Franz Hürth die große Feder schwingen durfte und er in seinen strikten Ansichten „päpstlicher als der Papst“ (Seite 263) war, ist atemberaubend zu lesen. Geradezu grotesk wirkt aber die von Daufratshofer ausgegrabene Episode, als Pius XII. in Bezug auf die Realpräsenz Christi in der Eucharistie einmal etwas anders sagte, als er selbst gelehrt hatte, und sich vom eigentlichen „Spiritus Rector“ Hürth erklären lassen musste, was er als Papst gemeint habe: Wir haben es also mit einem Papst zu tun, der sein eigenes Lehramt nicht kennt, es aber trotzdem in Anspruch nimmt. Die ausgezeichnete Arbeit von Daufratshofer ist nicht nur sehr gut zu lesen, sondern bietet auch Argumente in der innerkirchlichen Reformdiskussion. Man denke an das Argument, man könne keine Frauen zu Priesterinnen weihen, weil Johannes Paul II. „diese Türe zugemacht“ habe. Legt man die Erkenntnisse aus Daufratshofers Buch an, dann wird aus dem Argument jener Märchen-Kaiser, dem ein Kind die Wahrheit ins Gesicht gesagt hat: „Du bist ja nackt.“
Matthias Daufratshofer: Das päpstliche Lehramt auf dem Prüfstand der Geschichte. Franz Hürth SJ als „Holy Ghostwriter“ von Pius XI. und Pius XII., Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2021, 677 Seiten, Euro 46,30.
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