Sozialratgeber
Download hier >> oder Sozialratgeber KOSTENLOS bestellen unter office@kirchenzeitung.at oder telefonisch: 0732 / 7610 3944.
Wie schon im vergangenen Jahr, so hat Martin Dürnberger sich mit seinem Team wegen Corona auch heuer dazu entschlossen, ein reduziertes Online-Programm abzuhalten. Allerdings wird es von 4. bis 8. August auch einzelne Veranstaltungen vor Ort geben, wie die Verleihung des Theologischen Preises an P. Klaus Mertes (siehe „Kopf der Woche: Vertuschung durchbrochen“).
Heuer dreht sich das Generalthema der Hochschulwochen um die Frage „Was hält uns (noch) zusammen? Über Verbindlichkeit und Fragmentierung“. Gerade in Zeiten der Pandemie hochaktuell ...
Dürnberger: Ein schöner Begriff dazu ist jener der Herdenimmunität. Sie ist dann gegeben, wenn in der Bevölkerung so viele Menschen wegen einer Impfung oder einer durchgemachten Infektion immun gegen den Erreger einer Infektionskrankheit geworden sind, dass sich die Krankheit kaum noch ausbreiten kann. Es kommt also auf die Herde an, es kommt auf uns alle an. Es geht um das Wir, um das Gemeinsame. Es braucht Kooperation und Solidarität. Zugleich sieht man aber, wie schwer das ist. Wie können coronabedingte Umstellungen umgesetzt werden, ohne dass sie mit Zwang einhergehen? Wie kann der Zusammenhalt in Krisenzeiten gepflegt werden? Diese Umstellungen sind zum einen Belastungs-, zum anderen Zerreißproben, die sowohl jeden Einzelnen von uns fordern als auch generell die Gesellschaft, die Weltgemeinschaft, die Politik und auch die Kirche.
Was, denken Sie, hält die Kirche mit ihrer Vielfalt und all der Unterschiedlichkeit ihrer Mitglieder noch zusammen?
Dürnberger: Authentische, verbindliche Menschen. Sie können aus ganz unterschiedlichen Kontexten, Lagern oder Milieus kommen, aber ihnen ist die frohe Botschaft wirklich ein Anliegen. Authentisch zu sein hat viel zu tun mit Mitleben, mit Mitmachen, dass man tatsächlich das lebt, was man selbst fordert. So nehme ich das wahr. Authentischen Menschen hört man zu, von ihnen lässt man sich etwas sagen. Man spürt ihre Ernsthaftigkeit, ihre Glaubwürdigkeit. Entscheidend ist, denke ich, das Hören, das Zuhören, sich etwas sagen lassen, aber natürlich auch dem anderen die eigene Meinung präsentieren können.
Dieses „noch“ in der Frage des Themas deutet auf eine angespannte Lage in der Krise hin – Sie haben darauf ja schon hingewiesen. Oft wurde und wird an die Solidarität der Menschen appelliert. Wie viel Verbindlichkeit, Zusammenhalt und Solidarität kann eine Gesellschaft aushalten? Was braucht es, damit das funktioniert?
Dürnberger: Das ist die große Schlüsselfrage in soziologischer Hinsicht. Braucht es gemeinsame Erfahrungen? Braucht es gemeinsame Werte? Braucht es einen gemeinsamen Feind, ein Gegenüber, an dem ich mich abarbeite? Braucht es eine gemeinsame Kultur? Reicht eine gemeinsame Verfassung? Es gibt viele unterschiedliche Antworten darauf, was uns zusammenhält oder nicht. Mit Blick auf die aktuelle Flutkatastrophe zeigt sich für mich: Was uns zusammenhält, sind schon gemeinsame Erfahrungen und eine gewisse Empathie.
Einfühlungsvermögen und Teilnahme ...
Dürnberger: Genau, dass ich mich anrühren lasse von dem, was bei uns oder im deutschen Nordrhein-Westfalen oder in Bayern passiert ist. Ich glaube, die Schlüsselfähigkeit für Zusammenhalt ist, dass ich mich ansprechen lasse von dem, was einen anderen betrifft, und von mir selbst und meinen Eigeninteressen im Moment einmal absehen kann. Dass das geht, hat man jetzt bei der Hochwasserkatastrophe gesehen. Leute wollen helfen, sie wollen spenden, sie wollen kooperieren. Es gab sogar Menschen, die direkt in die betroffenen Gebiete gefahren sind, um bei den Aufräumarbeiten mitanzupacken. In Köln wurden Busse mit Helfern organisiert, die in die Eifel oder nach Erftstadt gefahren sind, um den Schlamm und das Geröll wegzuschaufeln.
Wenn ich mir die Tasse auf dem Plakat der Hochschulwochen anschaue: Etwas, das zu Bruch gegangen ist und wieder geklebt wurde, hat Narben. Ist etwas zerbrochen, kann ich es schwer wieder zu einem Ganzen zusammenfügen. Was, denken Sie, braucht es sinnbildlich, damit es hält?
Dürnberger: Es gibt eine traditionelle japanische Kunst des Goldflickens, sie heißt Kintsugi. Bruchstücke etwa einer zerbrochenen Tasse aus Keramik oder Porzellan werden dabei mit einer Kittmasse, die unter anderem aus Gold besteht, repariert. Die Narbe ist sichtbar, aber das Interessante ist, sie wird in gewisser Hinsicht mit Wert versehen. Wenn ich die geflickte Tasse als Sinnbild nehme, würde ich sagen, das „Gold“, das uns dann vielleicht noch zusammenhält, ist eine Tugend, von der man kaum mehr spricht: Großzügigkeit. Das heißt für mich, auch wenn nicht alles so gelaufen ist, wie ich mir das ursprünglich dachte, halte ich es aus. Ich bin großzügig mir selbst und anderen gegenüber, dass die Dinge anders sind. Ich glaube, dabei spielt auch Gottvertrauen eine wichtige Rolle. Es wird sich schon ein Weg finden, dass ich auch mit dieser Tasse, die zerbrochen ist, noch gut leben und daraus trinken kann. Heute würde man nicht mehr von Großzügigkeit sprechen, sondern von Solidarität. Wenn mich etwas an und für sich nicht betrifft, muss ich mich nicht solidarisieren, aber ich kann.
Das Thema beleuchten werden heuer u. a. der Ökonom und designierte WIFO-Präsident Gabriel Felbermayr, die Leuvener Neutestamentlerin Christina M. Kreinecker und die Schlafforscherin Kerstin Hödlmoser. Auch der Schlaf hält unser Leben zusammen ...
Dürnberger: Ja, nicht nur Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen, sondern auch der Schlaf ist wichtig. Gesellschaftlich ist das ein großes Thema und gegenwärtig sehr präsent. Viele Menschen leiden unter Schlafstörungen. Apps, die unseren Schlaf überwachen und analysieren, sind stark gefragt. Wenn ich zu wenig schlafe, dann verändert das mein seelisches und mein körperliches Wohlbefinden. In Krisenzeiten kann das verstärkt auftreten. Kerstin Hödlmoser, die im Schlaflabor an der Uni Salzburg forscht, was guten Schlaf ausmacht, wird uns erklären, warum die Gesellschaft nicht mehr schlafen kann.
Die Salzburger Hochschulwochen gibt es jetzt schon seit 90 Jahren. Es gab viele berühmte Referenten wie Joseph Ratzinger, Karl Rahner und Johann Baptist Metz. Welche Bedeutung hat dieses Jubiläum für Sie persönlich?
Martin Dürnberger: Auftrag, Ehre, Freude. Und Dankbarkeit, dass ich gerade zu diesem Zeitpunkt mitfeiern kann. Natürlich stellt sich auch die Frage, was braucht es für die Zukunft. Religion und Gesellschaft an sich sind in einem massiven Transformationsprozess ganz unterschiedlicher Art. Ich glaube, vor allem Religionen brauchen Orte der Reflexivität, wo es darum geht, sich einen Moment Auszeit zu nehmen, miteinander ins Gespräch und zum Nachdenken zu kommen. Unsere Idee ist, dass wir uns gemeinsam mit anderen den aktuellen Fragen und Herausforderungen stellen, welche die Gesellschaft und auch die Kirche umtreiben. Was ist das für eine Zeit, in der wir leben? Was sind die Fragen, die uns beschäftigen? Worauf kommt es wirklich an? Wir wollen nach wie vor ein fragendes Christentum sein – ich nenne es reflexive Katholizität. Und es braucht Orte, wo solche Dialoge stattfinden können. Diese Plattform bieten die Hochschulwochen jetzt seit 90 Jahren.
Infos: www.salzburger-hochschulwochen.at
Geboren wurde Martin Dürnberger am 13. April 1980 im oberösterreichischen Steyr. Die Theologie fand er bereits in der Schule spannend. Deshalb ging er nach der Matura am Bundesrealgymnasium Werndlpark Steyr nach Salzburg und studierte dort u. a. Katholische Fachtheologie und Germanistik. Seit 2015 ist Dürnberger Leiter der Salzburger Hochschulwochen, seit 2019 Assoziierter Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Paris-Lodron Universität Salzburg. Martin Dürnberger ist verheiratet und hat drei Kinder.
Bildtext: Martin Dürnberger hoch über der Kuppel der Kollegienkirche im Herzen der Salzburger Altstadt, wo sich auch die Salzburger Hochschulwochen befinden – eine internationale und interdisziplinäre jährliche Veranstaltungsreihe der Theologischen Fakultät und als solche integriert in die Universität Salzburg.
Sozialratgeber
Download hier >> oder Sozialratgeber KOSTENLOS bestellen unter office@kirchenzeitung.at oder telefonisch: 0732 / 7610 3944.
Erfahrungen aus dem Alltag mit einem autistischen Jungen >>
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>