Im Jahr 1939 zählte das Deutsche Reich 80 Millionen Einwohner/innen, im Laufe des Krieges von 1939 bis 1945 waren 17,3 Millionen Männer zur deutschen Wehrmacht einberufen, dazu kam noch eine Million Mitglieder der SS. Die Historikerin Annette Mertens hat unter den 18,3 Millionen Männern genau 14 Katholiken gefunden, die den Kriegsdienst verweigert haben, aus der evangelischen Kirche sind vier Personen bekannt. Von der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas wurden 272 Männer wegen Verweigerung getötet. Auch freikirchliche Gemeinschaften lehnen den Dienst mit der Waffe grundsätzlich ab, daher ist aus ihren Kreisen ebenso mit Opfern zu rechnen. Es sind aber keine Zahlen zugänglich. Außerhalb der Religionsgemeinschaften hat es ebenfalls Kriegsdienstverweigerer gegeben, doch sind auch hier keine Zahlen greifbar. In der Literatur tauchen einige Namen auf, ein Gesamtüberblick ergibt sich daraus aber nicht. Wie auch immer: Sollten selbst noch Dutzende dazukommen, bleibt die Zahl der Verweigerer in einer Größenordnung, die man mit der Lupe anschauen muss, damit sie überhaupt wahrnehmbar wird. Andere Formen des Widerstands gegen das NS-Regime waren um ein Vielfaches häufiger.
Dennoch hat die Verweigerung die Wehrmachtsrichter und das gesamte System mehr verunsichert, als man annehmen würde. Im ersten Kriegsjahr wurden 1.087 Verfahren wegen Wehrkraftzersetzung geführt. Verweigerung fiel unter diesen Tatbestand. Von den 117 vollstreckten Todesurteilen wegen Wehrkraftzersetzung waren 112 Zeugen Jehovas als Verweigerer betroffen. Die Richter sprachen sogar bei Hitler vor, um eine Änderung der Rechtsprechung zu bewirken, doch der Führer hat nur bekräftigt: Unter Hinweis auf Bibelstellen sollte sich niemand vor dem Wehrdienst drücken können, soll er im Rahmen seiner Tischgespräche gesagt haben. Trotz der klaren Weisung des Führers blieb Kriegsdienstverweigerung aus religiösen Gründen eine sensible Materie. Jeder dieser Fälle war immer an die höchste Instanz, an das Reichskriegsgericht in Berlin, weiterzuleiten.
Die Beschäftigung mit „Bibelstellen“, wie es Hitler nannte, war für Franz Jägerstätter eine unverzichtbare Hilfe, um zu einer Entscheidung zu kommen, denn in der Lehre der katholischen Kirche hatte Wehrdienstverweigerung keinen Platz. Weder im maßgeblichen „Lexikon für Theologie und Kirche“, das in den 1930er-Jahren erschien, findet sich dazu ein Eintrag noch in den Aktenbergen der deutschen Bischöfe aus dieser Zeit. Es ist nicht verwunderlich, dass Männer, die aus Glaubensgründen den Kriegsdienst nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten, völlig allein ihre Entscheidung treffen mussten. „Einsames Zeugnis“ heißt die erste Jägerstätter-Biografie. Doch dieses einsame Zeugnis von ein paar wenigen Christen hat innerhalb von nur zwei Jahrzehnten unbestreitbar einen Beitrag zum Umdenken in der katholischen Kirche geleistet. Das 2. Vatikanische Konzil vollzieht in dieser Frage eine Wende um 180 Grad. Wehrdienstverweigerer finden dort Anerkennung und bekommen in der kirchlichen Lehre ihren Platz. «
Altbischof Maximilian Aichern und Maria Dammer, eine Tochter Jägerstätters, stehen am Grab von Franz und Franziska Jägerstätter. Die Grabstätte an der Kirchenmauer von St. Radegund ist zum Gedenktag am 9. August festlich geschmückt. Im vergangenen Jahr (ab August 2018) besuchten – angemeldet – 650 Personen das Jägerstätter-Haus und die Kirche in St. Radegund. Neben den Einzel-Gästen unter anderem auch aus den USA kamen acht Gruppen aus Deutschland, zehn aus Österreich und eine Gruppe mit fünfzig Personen aus Bologna.
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