„Euer Haus steht unter Denkmalschutz? Oje, ihr Armen!“ Denkmalschutz ist in der Praxis mit Erhaltungspflicht, Bewilligungspflicht und weiteren Auflagen verbunden, die bei jeder Renovierung oder gewünschten Veränderung einen Zusatzaufwand verursachen.
Kein Wunder, dass ein denkmalgeschütztes Gebäude oft als Last empfunden wird. Doch es geht nicht darum, Denkmäler unter einen Glassturz zu stellen, findet Burghauptmann Reinhold Sahl, der für die Erhaltung vieler Sehenswürdigkeiten der Republik Österreich zuständig ist – darunter die Hofburgen in Wien und Innsbruck, die KZ-Gedenkstätte Mauthausen und zahlreiche Schlösser:
„Es geht nicht nur darum, das kulturelle Erbe zu konservieren, sondern ihm auch eine Nutzung zu geben.“ Bewahren und Nutzen der Immobilien seien durchaus „widerstreitende Interessen“. Dass die Substanz erhalten bleibt, sei aber wichtig, denn „einmal vernichtet ist immer vernichtet“.
Häuser erzählen eine Geschichte, ist der Burghauptmann überzeugt. Sie sind „Bestandteil unserer Geschichte“ und dienen deshalb auch als Lernfeld: Wie kam es zu Entwicklungen – egal ob positiv, ob negativ, ob es Fortschritte oder Rückschläge waren.
Wie sind wir dorthin gekommen, wo wir jetzt sind, und wie können wir sinnvoll weitergehen? Fragen, die sich anhand von historischen Objekten auftun und behandelt werden können. Politisch genutzte Gebäude wie die Wiener Hofburg bieten da besonders viele Möglichkeiten.
Über beinahe 800 Jahre ist dieser riesige Gebäudekomplex entstanden. „Jeder Regent hat versucht, der Hofburg seinen eigenen Stempel aufzudrücken“, blickt Christian Gepp in die Geschichte. Er ist leitender Mitarbeiter der Burghauptmannschaft.
Heute umfasst die Hofburg 52.000 Quadratmeter Netto-Raumfläche. An die 6.000 Menschen arbeiten hier für 100 verschiedene Institutionen, von der Präsidentschaftskanzlei über das Sisi Museum bis zu Wohnungen, Büros und Gastronomiebetrieben.
Der jüngste Bauteil der Wiener Hofburg ist gleichzeitig auch einer der bekanntesten. Die „Neue Burg“ war noch nicht fertiggestellt, als die k.u.k.-Monarchie zu Ende ging. Heute beherbergt sie die Österreichische Nationalbibliothek, das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) und andere Museen.
Vom Heldenplatz aus gesehen ist die Neue Burg ein beeindruckendes Baudenkmal des Imperialismus. Das machten sich auch die Nationalsozialisten zunutze.
Von der Terrasse oberhalb des Haupteingangs sprach, oder vielmehr schrie, Adolf Hitler am 15. März 1938 zu geschätzten 250.000 Menschen, die sich unten am Heldenplatz versammelt hatten. Er verkündete dort den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich.
Da die Rede auch im Radio übertragen wurde, wurde sie international bekannt und blieb ein bleibendes Mahnmal. Sowohl in Geschichtebüchern als auch in manchen Reiseführern wird der Ort vor allem mit diesem Ereignis verbunden, die Terrasse der Neuen Burg erhielt so ihren Beinamen „Hitlerbalkon“.
Seither wurde die Terrasse, die bautechnisch eigentlich ein sogenannter Altan oder Söller ist, kaum mehr für Veranstaltungen verwendet. Seit vielenJahren ist sie gesperrt und nur in absoluten Ausnahmefällen zugänglich.
Die Brüstung entspricht nicht modernen Sicherheitsbestimmungen. Und ein regelmäßiges Öffnen der Flügeltüre würde die musealen Sammlungen im Gebäudeinneren gefährden, weil feuchte Luft von außen eindringen könnte, erklärt Burghauptmann Reinhold Sahl.
In die unmittelbare Nachbarschaft des „Balkons“ ist 2018 das neu gegründete Haus der Geschichte Österreich (hdgö) eingezogen. Seine Aufgabe ist es, österreichische Zeitgeschichte seit 1918 darzustellen.
Also war es im doppelten Sinn naheliegend, dass sich das hdgö der Frage annahm, wie die symbolische Aufladung des Hofburg-Altans mit der Bedeutung „Hitlerbalkon“ entschärft werden könnte, ohne das mahnende Gedenken zu verwischen.
„Der Balkon – eine Baustelle“ heißt eine Mitmach-Ausstellung, die neben der Flügeltür angebracht ist, durch die man den Altan betreten könnte, wenn man denn dürfte. Ob dieser Ort wegen seiner Geschichte verschlossen bleiben oder geöffnet werden soll, ist eine Umfrage, an der Besucher:innen teilnehmen können.
Die Ja-Nein-Frage soll darüber hinaus aber zum Weiterdenken einladen, erklärt Direktorin Monika Sommer vom hdgö. Eine Online-Ausstellung lädt Interessierte dazu ein, ihre Vision für die Zukunft des „Balkons“ zu zeichnen und hochzuladen.
Vom Kaffeehaus zur Konzertbühne und zum Kinderspielplatz, von Bepflanzung über künstlerische Gestaltung aller Art bis zur Beflaggung mit österreichischer und EU-Flagge gibt es dort unzählige kreative Ideen
(https://heldenplatz.hdgoe.at).
Dass die Terrasse seit vielen Jahren ungenützt ist, würde ihre ideologische Aufladung als Hitlerbalkon verlängern, ist Direktorin Monika Sommer überzeugt. Es wäre wichtig, die Wahrnehmung des Gebäudeteils zu verbreitern, hatte er doch auch viele andere Funktionen erfüllt, etwa beim Katholikentag 1912.
„Was sind die richtigen Methoden, um die Aura des Ortes zu verändern?“, fragt sich die hdgö-Direktorin. „Es gibt kein Patentrezept. Wir sollten aber beginnen, den Ort als unseren Ort zurückzuholen.“
Angemeldete Führungen sieht sie als eine Möglichkeit, den Altan wieder zu einem Gedenkort mit breiterer Bedeutung zu machen. „Es gibt allerdings auch die Befürchtung, dass eine Öffnung des Ortes von Rechtsextremen instrumentalisiert würde. Die Angst darf aber nicht so groß werden, dass wir uns den Balkon nehmen lassen.“
Immer wieder würden sich Menschen mit vorgestrecktem rechtem Arm unterhalb des Altans fotografieren lassen – ein Zeichen dafür, dass die Instrumentalisierung des Ortes auch ohne seine Öffnung möglich sei.
Erst vor wenigen Wochen griff ein Videoclip der Freiheitlichen Jugend die Symbolik auf. Drei Menschen blicken darin zum Hofburgbalkon empor, eine Stimme im Hintergrund verkündet: Wir wollen eine Zukunft.
Für die Videoaufnahmen habe niemand die Zustimmung der Burghauptmannschaft eingeholt, wie es für politische Werbung erforderlich wäre, sagt Burghauptmann Reinhold Sahl. „Wir haben dem nicht zugestimmt.“
Das Video habe ihn irritiert. „Es ist eine Verknappung der Botschaft, das ist nicht in unserem Sinn. Was können wir tun, um die Erinnerung an den Nationalsozialismus nicht wegzuschieben, sondern einzubetten?“
Anhand der Hofburg ließe sich der Frage nachgehen, wie sich die Demokratie in Österreich trotz aller Hemmnisse entwickeln konnte. Was die weitere Verwendung der Terrasse der Neuen Burg betrifft, meint Sahl: „Ich habe noch nicht verstanden, warum man den Balkon betreten muss, um sich damit zu beschäftigen.“
Es sei ihm aber sehr wichtig, zu zeigen, welch zerbrechliches Werkzeug die Demokratie ist. „Was müssen wir heute tun, dass diese Tendenzen nicht wieder zu ähnlichen Entwicklungen wie damals führen? Ich habe noch kein Konzept gesehen, das geeignet ist, das zu verwirklichen. Wir sind genauso wie viele andere auf der Suche danach.“
Sozialratgeber
Download hier >> oder Sozialratgeber KOSTENLOS bestellen unter office@kirchenzeitung.at oder telefonisch: 0732 / 7610 3944.
Erfahrungen aus dem Alltag mit einem autistischen Jungen >>
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>