Der Busfahrer schüttelt den Kopf und deutet nach hinten. Wir sollen zurückgehen und bei der zweiten Tür einsteigen. Vorne ist abgesperrt, Vorsichtsmaßnahme wegen Corona, um dem Lenker nicht zu nahe zu kommen. Dass man Tickets deshalb nur vorab oder per Handy kaufen kann, war mir nicht bewusst. Während also der Bus Kehre um Kehre den Berg nach Kirchschlag oberhalb von Linz erklimmt, löse ich für uns vier das Familienticket. Es ist alles sehr kompliziert (ich muss eine App herunterladen und insgesamt fünfmal ein Passwort eingeben) und wird so lange dauern wie die 20-minütige Busfahrt. Fast freue ich mich aber über die Unbequemlichkeit. In der Corona-Krise sind solche kleinen Herausforderungen willkommene Abwechslungen.
Um etwas Farbe in den Alltag zu bekommen, haben wir zuerst das Spaziergehen als Familien-Hobby für uns entdeckt. Doch nach ein paar „Corona-Wochen“ kennen wir schon jeden Straßenzug in der Umgebung auswendig. Nach Ostern beschließen meine Frau und ich, dass wir unsere Spaziergehrunden an den Wochenenden um konkrete Wanderziele erweitern. Die Berge in und rund um unsere Heimatstadt Linz, Pöstlingberg, Pfenningberg, Lichtenberg und wie sie alle heißen, haben wir bisher eher links liegen gelassen. Nun werden sie zu begehrten Zielen. Während von Bergtouren im Salzkammergut derzeit abgeraten wird, bietet auch das Mühlviertel viele abwechslungsreiche Touren mit sanften Wiesen, rauschenden Bächen, schattigen Wäldern.
Als Auftakt waren wir bereits am Wochenende zuvor am Pfenningberg unterwegs. Alleine bin ich unter der Woche am Freinberg gewandert. Ein paar Gehminuten von meinem Arbeitplatz entfernt, bietet die Franz-Josephs-Warte eine schöne Aussicht auf Linz und das Mühlviertel. Der Freinberg zählt zu den beliebtesten Naherholungsgebieten von Linz und das schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Das aufstrebende Bürgertum konnte zu dieser Zeit das tun, was lange Zeit dem Adel vorbehalten war. Die Idee des Spazierengehens als Flucht vor dem Alltag wurde erstmals massentauglich.
Ein frischer Wind empfängt uns beim Aussteigen aus dem Bus. Rucksack rauf, obligatorische Gesichtsmaske runter und es kann losgehen in Richtung Lichtenberg, 927 Meter Seehöhe. Ab und zu begegnen uns Wanderer und Radfahrer, Maske trägt hier keiner mehr, die Pandemie rückt gedanklich immer weiter weg. „Ich bin froh, dass es beim Wandern nicht so streng ist mit den Maßnahmen“, sagt mein elfjähriger Sohn und läuft den Feldweg mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester hinunter.
Sämtliche Fachliteratur empfiehlt Bewegung, Bewegung und nochmals Bewegung für die eigene Gesundheit. Bewegung verringert die Anfälligkeit für Herzkrankheiten und Krebs. Sie wirkt stressmindernd und steigert die Konzentrationsfähigkeit. Wie wichtig das Gehen für die Gesundheit ist, haben unzählige Studien belegt. Zumindest 6.000 bis 8.000 Schritte sollte man täglich zurücklegen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht gar von 10.000 Schritten. Und: Bei Kindern und Jugendlichen rät die WHO zu einer Stunde täglicher Bewegung. Was in der Realität – leider auch in Ermangelung einer täglichen Turnstunde in Österreich – nur wenige schaffen.
Schon nach einer Stunde Wanderung merke ich, dass meine Rückenschmerzen bei jedem Schritt nachlassen. Meine Tochter fragt. „Wann sind wir da? Wann kommen endlich Steine zum Kraxeln?“ Ich sage: „Eh gleich.“ Und: „Ja, ich glaube schon, dass man am Gipfel ein bisschen klettern kann.“ Sicher bin ich mir nicht, als ich das letzte Mal hier war, war ich selbst ein Volksschulkind.
Kinder brauchen beim Gehen Abwechslung. So gesund Spaziergehen und Wandern sind, so wenig ist das ein Argument, das bei ihnen irgendwie zieht. Für Motivation sorgt vielmehr, wenn es ein kleines Bächlein gibt, in das man Steine werfen kann. Oder die Eidechsen und Sumpfdotterblumen, die auf dem Weg zu entdecken sind. Meine Tochter hat deshalb ihre Naturbüchlein immer bei der Hand, um nachschlagen zu können. Bei meinem Sohn kommt außerdem die Leidenschaft für die Zahlen dazu. Er möchte bei einem Wettbewerb, der gerade an seiner Schule läuft, einen Rekord für die meisten gegangenen Schritte pro Tag aufstellen.
Mittlerweile haben wir den Gipfel erreicht. Hier heroben herrscht reges Treiben. Zum Glück gibt es neben dem Gipfelkreuz einige Felsen, die sich meine Tochter so sehr gewünscht hat. Gleich daneben ragen der Sendemast und die 1856 erbaute Giselawarte auf, die der Grund ist, dass alle Linzer nur „Gis“ sagen, wenn sie vom Lichtenberg reden. Benannt ist der Aussichtsturm nach der in diesem Jahr geborenen Tochter von Kaiser Franz Josef und Elisabeth. Eine Besichtigung der Warte ist wegen Corona aktuell aber nicht möglich, was uns kurz an die aktuelle Krise erinnert.
Nach einer Jausenrast und dem Gipfelfotoshooting geht es bald weiter. Dass wir mit dem Postbus raufgefahren sind, macht sich nun bezahlt. Wir müssen die restlichen 10 Kilometer bergab gehen nach Linz, was die ganze Sache deutlich erleichtert. Anstrengend genug bleibt es, wie ich an meinem Muskelkater tags darauf merken werden. Über Güterwege, Waldwege und Wiesen gelangen wir ins schattige Tal des Dießenleithenbaches nach Urfahr zu unserem Auto.
Am Ende des Tages spüre ich eine Müdigkeit, die recht angenehm ist. Einschlafprobleme werde ich keine haben. Auf der Landkarte schaue ich mir weitere Touren an. Die Ziele werden uns so schnell nicht ausgehen. Ja, und der Rekordversuch meines Sohnes ist auch geschafft. Über 30.000 Schritte sind es letztendlich geworden.
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