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Sie haben 2005 mit 50 Jahren begonnen, etwa einmal im Jahr mehrwöchige Autostopp-Reisen nach England zu unternehmen. Gab es einen Grund dafür?
Johann Grabner: Ich bin zu dieser Zeit an einer Linzer Hauptschule Direktor geworden. Da habe ich mir gedacht, ich muss hin und wieder was anderes als Ausgleich zu dieser fordernden Aufgabe machen.
Hatten Sie schon Jugenderfahrungen mit Autostoppen?
Grabner: Als junger Erwachsener bin ich nach Syrien getrampt. Auch in meiner Schulzeit im Mühlviertel waren meine Kollegen und ich oft per Anhalter unterwegs, um nicht so lange auf den Bus nach Hause warten zu müssen. Das war damals ganz normal. Sogar als junger Lehrer bin ich noch per Autostopp zur Arbeit gependelt. Meinen Führerschein habe ich erst mit 30 gemacht.
Ist es schwieriger als früher, mitgenommen zu werden?
Grabner: Ja, es ist schon schwieriger geworden. Viele Leute haben Angst, jemanden mitzunehmen. Sie sind sehr von ihrer Furcht geprägt.
Geben Sie während Ihrer Reisen zu Hause Bescheid, wo Sie gerade sind?
Grabner: Meine Tochter und meine Schwestern wissen, wo ich unterwegs bin. Früher, als ich in meinen Jugendjahren per Anhalter in Syrien unterwegs war, habe ich meinen Eltern nie gesagt, wo ich genau bin. Die haben sich große Sorgen gemacht.
Was macht für Sie den besonderen Reiz dieser Art des Reisens aus?
Grabner: Ich lerne viele Leute kennen, Autofahrer, die mir teilweise ihre Lebensgeschichte erzählen. Ich erhalte auch interessante Einblicke in die Welt der Berufskraftfahrer, etwa was sie verdienen: Jener Lkw-Fahrer, mit dem ich unlängst von Aachen bis Linz kam, wurde mit fünf Cent je Kilometer entlohnt. Für acht Stunden Fahrt hat er also etwa 40 Euro bekommen.
Sehen Sie auf Ihren Reisen andere Autostopper?
Grabner: Bei meiner letzten Reise im Oktober und November 2018 habe ich nur einen Autostopper außer mir gesehen. Meistens bin ich der einzige.
Warum lassen Sie sich auf das Autostoppen ein?
Haben Sie selbst keine Angst?
Grabner: Grundsätzlich habe ich keine Angst. Ich habe Gott sei Dank keinen Fernseher und bekomme nicht so viel mit, was alles Schlimmes und Gefährliches in der Welt passiert. Ich versuche den Menschen möglichst offen zu begegnen. Dabei kann es einem schon das Weltbild durcheinanderhauen. In England ist einmal ein stark tätowierter Autofahrer mit Kampfhund extra für mich stehen geblieben und hat mich mitgenommen. Ich gebe zu, am Anfang war ich skeptisch. Doch der Mann war tatsächlich total nett, und ich habe mir am Ende gedacht: „So kannst du dich täuschen.“
Und die Autofahrer können ihre Angst überwinden, wenn sie einen Autostopper mitnehmen?
Grabner: Ich habe gelegentlich die Rückmeldung von Autofahrern bekommen: „Am Anfang habe ich Bedenken gehabt, aber jetzt bin ich froh, dass ich Sie mitgenommen habe.“ Ich sehe mein Autostoppen als Beitrag gegen die große Angst, die in der Gesellschaft umgeht.
Sie finden letztendlich immer jemanden, der Sie mitnimmt?
Grabner: Ich schaue, dass ich die Autofahrer auf Raststätten frage. Das geht einfacher, als am Straßenrand zu stehen. Es kommt auch vor, dass Autofahrer auf mich zugehen, weil ihnen meine Tafeln gefallen, die ich auf den Raststationen aufstelle und auf die ich meine Reiseziele gemalt habe.
Außerdem nehmen Sie künstlerisch gestaltete Pyramiden-Würfel mit, auf die Sie viele hoffnungsvolle Botschaften wie „Europa: wo Demokratie geboren wurde“ gemalt haben.
Grabner: Die Idee hatte ich 2016, relativ kurz nach den Terroranschlägen von Paris und Brüssel, als ich wieder einmal per Autostopp unterwegs war.
So schlimm diese Anschläge natürlich waren: Ich habe mir gedacht, dass es ein Wahnsinn ist, dass sich ganz Europa in die Hose macht wegen ein paar Verrückter. Deshalb habe ich diese Würfel mit positiven Impulsen gestaltet und mitgenommen. Die habe ich dann an Orten aufgestellt, die „belastet“ waren, wie zum Beispiel in Brüssel.
Sie sind letztes Jahr als Schuldirektor in Pension gegangen. Wie lange wollen Sie mit Ihrer Art des Reisens weitermachen?
Grabner: Wenn die Leute fragen, wieso ich das in meinem Alter tue, sage ich gerne: „Das soll man tun, solange man jung ist.‘ Ich bin immer bereichert nach Hause gekommen, also werde ich es wohl noch eine Weile machen. «
Ein Mann, der sich umbringen will. Ein dankbarer Architekt. Und ein Asiate, der nicht einschlafen darf. Johann Grabner erzählt von Begegnungen beim Autostoppen.
„Ein etwa 40-jähriger Mann ließ mich in Belgien von Antwerpen weg die gut 100 Kilometer lange Strecke bis Jabbeke mitfahren. Er erzählte mir, dass er jegliche Lebensfreude verloren habe und und unter schweren Depressionen leide. Er habe ein Ansuchen gestellt, mit ärztlicher Unterstützung freiwillig aus dem Leben scheiden zu dürfen (Euthanasie). Der Mann war sehr intelligent, weit gereist, gebildet, mit vielerlei Interessen. Gründe für seine Entscheidung? Unter anderem sprach er davon, dass ihm der ständige berufliche Leistungsdruck (immer mehr und noch schneller, man darf keine Schwächen zeigen, nie krank sein) zu viel geworden sei. Was mich sehr nachdenklich machte: In welcher Gesellschaft leben wir, die ihren schwächsten Mitgliedern nicht jenen Lebensraum bieten kann und will, in dem sie sich wohlfühlen und entfalten können?
Ein aus Ostasien stammender Mann hatte mich von Frankfurt nach Passau mitgenommen. Beim Verabschieden bedankte er sich dafür, dass ich ihn angesprochen hatte und mit ihm gefahren war. Er hatte eine wegen seines kranken Kindes sehr unruhige Nacht hinter sich. Durch das Gespräch mit mir sei die Gefahr des Einschlafens gebannt worden.
Einmal hat mich ein Architekt in seinem Campingbus von Dover bis Nürnberg mitgenommen, gemeinsam mit seinen zwei achtjährigen Zwillingstöchtern. Als ich am nächsten Morgen gegen 8 Uhr in Nürnberg aus seinem Auto stieg, bedankte er sich bei mir: ‚Ich bin so froh, dass ich Sie mitgenommen habe. So haben Sie meine Töchter mit Zeichnen, Singen, Erzählen und Spielen unterhalten.‘
Dazu kommen so viele andere Begegnungen, die von Offenheit, Herzlichkeit, Großzügigkeit und Toleranz geprägt waren und mich jeweils um ‚einige Gramm Glück‘ reicher weiterreisen ließen.“
Johann Grabner
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