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„Gesundheit“ definierte die Weltgesundheitsorganisation WHO 1946 als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“ und nicht nur als „das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“. Angesichts dessen, wie eng das körperliche Wohlergehen mit dem geistigen und dem sozialen Wohlergehen verbunden ist, erklärt sich der Sinn des häufig als „Mega-Ministerium“ bezeichneten österreichischen Gesundheitsministeriums. Dessen neuer Minister Wolfgang Mückstein ist wie sein Vorgänger gleichzeitig für die Bereiche Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zuständig. Die Coronapandemie hat große Auswirkungen auf das körperliche Wohlergehen von Menschen, doch mehr und mehr zeigen sich auch Folgen für das soziale Wohlergehen. Einsamkeit sei bereits vor der Pandemie „eine Zivilisationskrankheit in westlichen Gesellschaften“ gewesen, formulierte Caritaspräsident Michael Landau anlässlich des „Pakts gegen die Einsamkeit“, zu dem Bundeskanzler Sebastian Kurz im Herbst aufgerufen hatte. Doch die Pandemie hat das Problem weiter verschärft.
Seit einem Jahr gelten Kontakteinschränkungen im privaten und öffentlichen Raum. So sinnvoll sie als Schutz vor der Ausbreitung des Coronavirus sind, bringen sie unerwünschte Nebenwirkungen mit sich. Höchstens zwei Haushalte dürfen sich zwischen 6 und 20 Uhr treffen (im Osten Österreichs sind die Bestimmungen strenger), im öffentlichen Raum ist ein Zwei-Meter-Abstand zu anderen einzuhalten. Wer die Möglichkeit hat, soll zuhause arbeiten. Jugendliche sind nur zwei Tage pro Woche in der Schule, Kinder tragen in der Schule Masken, turnen nicht im Turnsaal und singen nicht. Jugendgruppen dürfen sich unter strengen Auflagen treffen (höchstens zehn Jugendliche, Coronatests, Abstände, ...), andere Versammlungen von Gruppen und Vereinen sind seit vielen Monaten untersagt. Demonstrationen und Gottesdienste sind nur mit Sicherheitsabständen und Masken möglich. Dazu kommt, dass öffentliche Räume wie Kinos, Theater, Säle, Gaststätten, Hotels und Sportstätten geschlossen sind. Menschen jeden Alters sollen einander möglichst nicht begegnen, damit sich das Coronavirus nicht noch stärker ausbreitet. Viele Menschen halten sich an die Regeln und tragen zur Eindämmung der Pandemie bei. Was sie dafür in Kauf nehmen, ist eine neue, ungekannte Intensität des Alleinseins und der Einsamkeit.
Über die Hälfte der Jugendlichen fühlt sich einsamer als vor der Pandemie, ergab eine Online-Studie unter 12- bis 25-Jährigen, die das Institut für Grundlagenforschung für die Stadt Salzburg im März durchgeführt hat. Mädchen und junge Frauen sind von dem Trend noch stärker betroffen als Burschen und junge Männer. Bereits vor der Pandemie hatten nach Angaben der Caritas 372.000 Menschen in Österreich in ihrem Umfeld niemanden für persönliche Gespräche. Außerdem hat sich die Zahl der Single-Haushalte in den letzten 30 Jahren auf 1,5 Millionen verdoppelt. Fast ein Fünftel der Österreicher/innen wohnt alleine. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sich die Menschen einsam fühlen. Doch Einschränkungen von privaten Kontakten und Veranstaltungen im öffentlichen Raum haben für Single-Haushalte besonders starke Auswirkungen. „Wenn wir Menschen nun in der Krise raten, ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, dann bedeutet das für viele, dass sie gar keine Sozialkontakte mehr haben.“ Darauf machte Caritaspräsident Michael Landau aufmerksam. Student/innen, die seit einem Jahr nicht mehr zur Uni gehen, Jungeltern und ihr Nachwuchs, für die es keine Babytreffs gibt, Menschen im Homeoffice, frisch Pensionierte und Arbeitslose, die plötzlich von der Umgebung abgeschnitten sind, aber auch und besonders alte Menschen zuhause oder in Heimen, die kaum mehr Besuch empfangen durften: Die Einsamkeit durch die Individualisierung wurde von der Einsamkeit als Pandemie-Maßnahme noch übertroffen.
In Großbritannien gibt es seit drei Jahren ein Einsamkeitsministerium. Ministerin Diana Barran beobachtet, dass ihr Ressort durch die Pandemie mehr Aufmerksamkeit bekommt. Die Caritas wünscht sich auch für Österreich eine oder einen Regierungsbeauftragte/n für dieses Thema. Dass der Vorschlag in das Strategiepapier der „Taskforce Pflege“ des Gesundheitsministeriums aufgenommen wurde, ist ein erster Schritt. Aus der Erfahrung der Caritas soll es aber nicht nur um Menschen höheren Alters gehen, sondern auch um junge Menschen, die unter Einsamkeit leiden. Einsamkeit schwächt die Gesundheit, wie Diakoniedirektorin Maria Katharina Moser feststellt: „Sie schwächt das Immunsystem, fördert Depressionen, Schlaflosigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, beschleunigt das Fortschreiten von Demenz.“
Diakonie und Caritas werden auch in der Pandemie aktiv gegen die grassierende Einsamkeit: Das „Plaudernetz“ der Caritas verband seit dem ersten Lockdown durch 10.000 Telefonate Menschen miteinander, die einander nicht kannten. Zweck: Plaudern. Die Gespräche dauern im Schnitt 30 Minuten. Wer bereit ist zuzuhören, registriert sich auf fuereinand.at. Dort haben sich bereits 3.500 Freiwillige eingetragen, bei denen es klingeln kann, wenn jemand mit Redebedarf die Telefonnummer 05 1776 100 wählt. Es ist keine Notfalltelefonnummer und keine Gratisnummer, aber auch keine mit Spezialgebühren. „Wir alle sind sozial ausgehungert, und zunehmend mehr Menschen leiden unter der Isolation“, erklärt der Wiener Caritasdirektor Klaus Schwertner, der die Initiative mitbegründet hat.
Einen eigenen Bildungsgang „Wege aus der Einsamkeit“ bietet das Kardinal-König-Haus der Jesuiten und der Caritas an. Lernziele sind Wissen über Ursachen und psychosoziale Folgen von Einsamkeit sowie Methoden dagegen. Ansätze gegen Einsamkeit gibt es zahlreich, doch um den „Pakt gegen die Einsamkeit“ des Bundeskanzlers ist es ruhig geworden. Dass der Arzt Wolfgang Mückstein als neuer Minister auch den sozialen Aspekt von Gesundheit im Auge behält, bleibt zu hoffen. «
Gastkommentar
Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. So steht es am Anfang eines der ältesten Bücher der Welt, der Bibel.
Viele Menschen leben nicht nur allein, sondern fühlen sich auch einsam. Einsamkeit ist eine stille, oft verborgene Not. Allein zu sein beschreibt eine objektiv darstellbare Lebenssituation. Einsamkeit dagegen ist ein subjektives Gefühl der Unzufriedenheit mit der Anzahl bzw. der Qualität der sozialen Beziehungen. Einsamkeit führt zu psychischen und physischen Folgen wie Ängsten, Depression, erhöhte Suizidalität, stärkere Demenz, erhöhtes Risiko von Herzerkrankungen und Schlaganfällen etc.
Einsamkeit hat mit veränderten Familien- und Gesellschaftsstrukturen zu tun. Familien sind zu Klein- und Kleinstfamilien geworden. Nur mehr selten leben mehrere Generationen unter einem Dach: 50% der Haushalte in Großstädten sind heute Ein-Personen-Haushalte, 40% der über 60-Jährigen leben alleine – vor allem Frauen. Nach einem Jahr Corona leiden vermehrt Jugendliche unter
Das Smartphone immer in der Hand, fühlen sich trotzdem 53% der Jugendlichen einsamer als vor Beginn der Corona-Pandemie.
Einsamkeit hat aber nicht zwingend damit zu tun, alleine zu leben. Einsam können Menschen auch in Beziehungen und Ehen leben. Einsamkeit kann durch die Fähigkeit, gut allein zu leben, in Grenzen gehalten werden. Allein zu leben verstehe ich als Lebenskunst, als Kunst, Problemlösungsstrategien und Ressourcen zu suchen, um Einsamkeit dauerhaft zu verhindern. Ein paar Ansatzpunkte: Sich selbst zu mögen – das ist oft nicht leicht. Stille auszuhalten – der Dauerberieselung einen Riegel vorschieben. Sich mit allem und allen verbunden zu wissen – und diese spirituelle Grundhaltung täglich zu üben, durch ein Morgenritual am Balkon, stille Minuten in einer Kapelle, bewusst gelebte Solidarität. Gottes Gegenwart in allem zu suchen – das göttliche Du in allen Lebenslagen spüren. Dann bin ich nicht mehr einsam, auch wenn ich allein bin. Freundschaften bewusst zu pflegen – oder ehrenamtliche Tätigkeiten auszuüben. Nachbarschaftshilfe zu erbitten – das ist in unserer von Leistung und Unabhängigkeit geprägten Gesellschaft zwar nicht cool, hilft aber, Einsamkeit zu verringern.
Vonseiten der Gesellschaft wiederum können Hilfestellungen angeboten werden: Von konsumfreien Begegnungszonen über ausgewiesene Tratsch-Bankerl (wer dort sitzt, will mit anderen ins Gespräch kommen) hin zu Angeboten für Singles, Alleinerzieher/
-innen, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit besonderen Bedürfnissen gibt es viele Ansatzpunkte.
Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Aber wer gut mit sich allein sein kann, kann der Einsamkeit einen Riegel vorschieben. «
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