Wenn Claudia Hössinger an die Kinder denkt, die sie als Krisenpflegemutter umsorgt hat, dann fällt ihr zuerst Leon* ein. Das Jugendamt rief an, eine Stunde später hielt sie das elfmonatige Kind schon in den Armen. Um den ständig schreienden Kleinen zu beruhigen, trug sie ihn im Tragetuch die Stiegen auf und ab. Sie schaute in sein kleines, zorniges Gesicht, und stellte sich vor, wie er als Jugendlicher sein würde. Würde er immer noch wütend auf die ganze Welt sein? Heute lebt Leon bei Pflegeeltern. Er ist ein liebes, freundliches Kind. Während der Zeit in Claudia Hössingers Familie hat er Zuneigung und sichere Beziehungen erfahren.
„Wir haben oft den Satz gehört: ‚Wahnsinn, ich könnte das nicht machen‘“, sagt Claudia Hössinger, „aber zum Glück gibt es Familien, die das können.“ Nach zehn Jahren hat sie ihre Tätigkeit als Krisenpflegemutter beendet. Zehn „Krisenkinder“ waren zwischen 14 Tage und 19 Monate bei Claudia Hössinger und ihrer Familie in Vöcklabruck. Sie weiß, wie es ist, sich rund um die Uhr und ohne einen freien Tag zu kümmern. Deshalb kann sie nicht verstehen, warum Krisenpflegeeltern erst dann Kinderbetreuungsgeld erhalten sollen, wenn das Kind mehr als drei Monate im Haushalt lebt. Manche Kinder leiden an den Folgen von Mangelernährung oder Vernachlässigung oder an Entzug, wenn die Mütter während der Schwangerschaft geraucht oder Drogen konsumiert haben. Die Kinder brauchen viel Zuwendung und Förderung. Vom ersten Tag an, bis sie von Pflegeeltern oder den eigenen Eltern abgeholt werden.
Daniela K. hat gerade eine solche Übergabe hinter sich gebracht. Den Abschied von „ihrem“ Kind hat die Krisenpflegemutter aus dem Bezirk Braunau gut verkraftet, aber nur deshalb, weil sie weiß, dass es bei den neuen Pflegeeltern gut aufgehoben ist. Zum Schutz ihrer Pflegekinder möchte Daniela K. ihren Nachnamen nicht öffentlich nennen. Drei Kinder haben sie und ihre Familie bisher aufgenommen. Jedes Mal wurden sie mit Freude begrüßt, trotz der körperlichen Anstrengung, die zu erwarten war. Das nimmt Daniela K. in Kauf. Sie sieht, wie schnell sich die Kinder in einer liebevollen Familie entwickeln, gerade in den ersten vier Wochen. „Krisenpflegemutter zu sein, ist nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung“, sagt sie.
Für ihren Einsatz ist sie knapp zehn Stunden pro Woche bei der gemeinnützigen Organisation „plan b“ angestellt. Sie bekommt zusätzlich zum Kinderbetreuungsgeld eine Aufwandsentschädigung für Windeln und Nahrung, die unregelmäßig ausbezahlt wird. Eine sichere Altersvorsorge läßt sich damit kaum aufbauen. Wenn das Kinderbetreuungsgeld wegfällt, droht manchen Frauen die Armutsfalle.
Aber es sind nicht nur die finanziellen Einbußen, die Claudia Hössinger und ihre Kollegin verärgern. Sie haben den Eindruck: Kinder, die schon viel mitgemacht haben, seien eine gute Betreuung nicht wert. Laut Familienministerium sei die neue Regelung „fair“, weil damit Eltern, Pflegeltern und Krisenpflegeeltern gleichgestellt würden. Die beiden Krisenpflegemütter sehen ihre Arbeit aber auch als Dienst an der Gesellschaft. Null- bis Dreijährige, die nicht bei Krisenpflegeeltern unterkommen, müssten in Betreuungseinrichtungen. Das würde den Staat mehr kosten. Vor allem, wenn Kinder wie Leon die Zuwendung bekommen sollen, die sie für eine gute Zukunft brauchen. «
* Name aus Datenschutzgründen geändert.
Zur Sache
Im September 2018 wurde das Kinderbetreuungsgeld für Krisenpflegeeltern gestrichen. Nach einer Neuregelung haben sie nun rückwirkend mit 1. Juli 2018 wieder Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, aber nur, wenn das Kind mindestens 91 Tage im Haushalt lebt. Der Katholische Familienverband Österreich (KFÖ) sieht diese Einschränkung kritisch. KFÖ-Präsident Alfred Trendl ist aber zuversichtlich, dass im Familienministerium eine gute Lösung gefunden wird. In Österreich gibt es rund 200 Krisenpflegeltern, davon 32 in Oberösterreich.
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