Frau A.* ist für einen Routineeingriff im Krankenhaus. Dort hat sie ein bewegendes Erlebnis, von dem sie erzählt: Ihre Bettnachbarin ist sterbenskrank: Die Verdauungsorgane sind weitgehend zerstört, sie kann kein Essen behalten. Der Ärzte sehen keine Möglichkeit mehr, ihr zu helfen. Um ganz sicherzugehen, wäre ein Eingriff notwendig. Der Arzt erläutert der Bettnachbarin von Frau A. folgende Möglichkeit: Sollte sich bei dem Eingriff bewahrheiten, dass keine Rettung möglich ist, könnte sie bis zum Eintritt ihres Todes in Narkose verbleiben. Sie willigt ein.
Vermutlich wünschen sich die meisten Menschen einen guten Tod, der einen im normalen Schlaf erreicht und die Last von Entscheidungen erspart. Aber bei nicht wenigen sieht es anders aus und das Wachsen medizinischer Möglichkeiten vergrößert Entscheidungsspielräume – auch jenseits sogenannter aktiver „Sterbehilfe“, die in Österreich verboten ist. Bei Sterbenden ist es möglich, von Behandlung mit dem Hauptziel auf Heilung auf palliative Behandlung umzustellen. Ärzte, Ethikexperten und Gesetzgeber versuchen, mit solchen Fragen zurechtzukommen.
Viel Erfahrung in diesem Bereich hat Günter Virt, emeritierter Professor für Moraltheologie an der Universität Wien und langjähriges Mitglied von ethischen Gremien auf nationaler und EU-Ebene. Wie geht man als Ethiker mit einer Situation um, wie sie Frau A. erlebt hat? Es kommt jedenfalls immer auf den konkreten Fall an, sagt Virt: „Entscheidend sind letztlich der Wille der Patientin und dass es eine medizinische Indikation für den Eingriff gibt. Operationen, bei denen es ohne einen möglichen Nutzen für den Patienten nur mehr um Studienzwecke geht, haben wir in der Ethikkommission immer abgelehnt.“
Diskutiert werden auch Fälle, in denen das Lindern von Schmerzen zu einer Lebensverkürzung führt – zum Beispiel, weil das ein Effekt der schmerzstillenden Mittel ist. „Auch hier geht es im ersten Schritt darum, dass der Patient informiert wird und selbst die Entscheidung trifft. Grundsätzlich kann man sagen: Insofern man Schmerzen lindern kann, soll dies auch geschehen, denn die Lebensverkürzung ist dabei ja nicht beabsichtigt. Im Übrigen sagen Mediziner, dass bei Schmerzlinderung heute weitgehend keine Lebensverkürzung in Kauf zu nehmen ist, insgesamt ist sogar mit einer Verlängerung zu rechnen.“
Die Einwilligung des Patienten zu einer Maßnahme setzt voraus, dass dieser dazu auch in der Lage ist. Dabei gibt es viele Situationen, in denen das nicht möglich ist, vor allem, wenn sich der Patient aufgrund von Bewusstlosigkeit nicht äußern kann. Das österreichische Recht bietet Möglichkeiten an, auf Behandlungen im Falle der Nichtansprechbarkeit von vorneherein zu verzichten: die verbindliche und die beachtliche Patientenverfügung. Für die verbindliche Patientenverfügung gibt es deutlich größere Voraussetzungen: Es muss eine medizinische Beratung geben, sie muss genau bezeichnen, welche Behandlungen ausgeschlossen sind, und sie muss vor einem Notar, Rechtsanwalt oder Patientenvertretung errichtet werden. Nicht zuletzt hat sie derzeit eine Ablauffrist von fünf Jahren. Entscheidend ist aber in jedem Fall der aktuelle Wille des Patienten. Eine beachtliche Patientenverfügung erfüllt nicht alle Voraussetzungen, sie ist für den Arzt dennoch eine verbindliche Orientierung, wenn auch letztlich nicht rechtlich binden.
„Im Normalfall wird ein Arzt froh sein, wenn es eine Patientenverfügung gibt. Wenn man mich fragt, dann rate ich immer: Eine beachtliche Patientenverfügung plus die Bevollmächtigung eines Vertrauten zu errichten, der das Wertesystem des Betroffenen kennt, ist ausreichend.“ Die sogenannte Vorsorgevollmacht ermöglicht es diesem Vertrauten im Falle des Falles als Stellvertreter des Patienten zu entscheiden.
In der Diskussion rund um die Grenze des Lebens ist gelegentlich auch von einem „ärztlichen Übereifer“ die Rede, der das Leben unbedingt verlängern will. Die Kirche, so erläutert der Moraltheologe Virt, hat diesbezüglich schon länger eine feste Haltung: „Es ist seit Pius XII. (gest. 1958) traditionelle Lehre, dass die Medizin nur verpflichtet ist, die den Umständen entsprechende gewöhnliche Mittel anzuwenden. Zum Einsatz außergewöhnlicher Mittel besteht keine Verpflichtung. Man hat argumentiert, das sei zu ungenau. Aber eine letzte Präzision kann es immer nur im konkreten Fall geben.“
In den USA und manchen europäischen Ländern, so berichtet Virt, sind ständige Ethikkommissionen in Krankenhäusern üblich. „In Österreich sind wir noch nicht so weit, aber auch hier wird ein Arzt in Dilemma-Situationen eine Kommission bilden. Ich war schon öfter Teil solcher oft schwieriger Diskussionen. Dabei sollen alle versammelt sein, die mit dem Patienten zu tun haben: die Krankenpfleger/innen, die Ärzt/innen, die Angehörigen, die Seelsorgenden usw.“ Holen sich also die Ärzte dort Rat von Ethikern, wenn zum Beispiel eine Patientenverfügung fehlt? „Der Ethiker kann den Medizinern die Entscheidung nicht abnehmen. Er kann aber sicherstellen, dass alle relevanten Fragen gestellt werden, alle Themen auf den Tisch kommen und richtig abgewogen werden.“
Die Entscheidung allein den Angehörigen zu überlassen, könnte problematisch werden. Man braucht gar nicht negativ an Erbschaftsfragen zu denken: „Da können zum Beispiel auch Schuldgefühle eine Rolle spielen, wenn jemand versuchen will, das Leben des Sterbenden zu verlängern, um noch etwas gutzumachen. Es gibt viele Gründe, warum es gut ist, dass zunächst im Falle einer Patientenverfügung der Betroffene selbst, sonst sein bevollmächtigter Stellvertreter und der Arzt die Entscheidung treffen“, sagt Virt.
Und was ist, wenn der Sterbende getötet werden will und um aktive Sterbehilfe bittet? Die Ablehnung der Kirche dazu ist bekannt. Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Selbstmord sind in Österreich auch Straftatbestände. Andere europäische Länder kennen Ausnahmen, wie die Schweiz, die Niederlande, Belgien oder Luxemburg. Die europäische Entwicklung bereitet Günter Virt Sorge: „Belgien hat eine Rechtslage, in der unter Umständen auch Kinder und Strafgefangene Tötung auf Verlangen durchsetzen können. Wir müssen hier sehr wachsam sein. Ich bin sehr dankbar, dass es in Österreich durch zwei parlamentarische Enqueten deutlich wurde, dass es eine Allparteieneinigung gibt, die bewährte Gesetzeslage bei uns beizubehalten. Fragt man Menschen auf der Straße, bekommt man zwar schnell Mehrheiten in eine andere Richtung. Umso wichtiger ist es mir, die richtigen Fragen in der richtigen Situation zu stellen.“
* Name der Redaktion bekannt.
Zur Sache
Nach der Abtreibungs-Abstimmung in Irland war oft von einem „Recht auf Abtreibung“ die Rede. Wie soll man darauf reagieren? „Man muss klar argumentieren, dass es ein Recht auf Tötung eines ungeborenen Menschenlebens nicht geben kann“, sagt der Ethiker Günter Virt. „Die Frage kann nur sein: Wie regelt man – oft tragische – Konflikte.“ Wichtig ist, dass es sich um eine „Regelung“, nicht um eine „Lösung“ handelt.
Bedauern äußert der Experte, dass auch die Diskussion um mehr Transparenz in diesem Bereich „vermutlich auch aus Angst vor einem Kulturkampf“ verweigert wird – zum Beispiel über eine anonyme Ursachenforschung, wie sie die Initiative „Fakten helfen“ fordert.
„Bei der Einführung der Fristenregelung in Österreich gab es den Slogan ‚Helfen statt strafen‘“, erinnert sich Virt. „Leider ist es beim Slogan geblieben. Aufgrund einzelner Untersuchungen vermute ich, dass schwere Schwangerschaftskonfliktsituationen oft aus Partnerschaftsproblemen entstehen. Unsere Beratungsstellen sind medizinisch und sozial aufgestellt, müssten aber zu einer Partnerschafts- und Lebensberatung erweitert werden. Eine wirkliche Hilfe wäre ein engmaschiges, niederschwelliges, unabhängiges und vor allem qualitätsgesichertes System von Beratungsstellen. Dass Abtreibung kein wünschenswerter Weg sein kann, müssten auch Befürworter der Fristenregelung einräumen und in der Öffentlichkeit nachdrücklich vertreten“, sagt Günter Virt.
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