„Ich bin hauptberuflich Sozialpädagogin im Homeoffice“, sagt Doris Hohenwallner. Sie sitzt aber nicht am Schreibtisch. Gemeinsam mit ihrem Mann Kurt schafft sie eine geborgene, sichere Umgebung für Kinder, deren Herkunftsfamilien das nicht können.
Beide stammen aus kinderreichen, für andere offenen Familien, und so wollten sie auch selbst eine große Familie. Nachdem die drei ersten eigenen Kinder „groß“ waren, haben sie zwei weitere bekommen.
Zum Ende ihrer Karenz wollte Doris nicht wieder in einer stationären Einrichtung, sondern daheim arbeiten. So ist vor zwölf Jahren ein damals vierjähriges Mädchen dazugekommen. Später ist noch ein fast fünfjähriger Bub eingezogen, und mit dem jüngsten betreuten Kind ist seit 18 Monaten auch Kurt als Sozialpädagoge zu Hause angestellt. Sie arbeiten für die Soziale Initiative, eine gemeinnützige Organisation. Als Vorteil sehen sie, dass sie näher an den eigenen Kindern sind und die betreuten Kinder fixe Bezugspersonen haben. Jeder kleine Entwicklungsschritt macht ihnen Freude.
„IN-Betreuung“ lautet die Bezeichnung für diese Form der außerfamiliären Betreuung. Das kann für einige Monate sein oder bis zur Volljährigkeit des Kindes. Derzeit sind 38 Kinder und Jugendliche in 26 Familien in IN-Betreuung. Der Bedarf ist größer.
Bei Familie Hohenwallner waren die älteren Kinder 16, 13 und elf Jahre alt, als das erste Betreuungskind gekommen ist. Sie wurden selbstverständlich gefragt und waren einverstanden. Doris und Kurt Hohenwallner betonen, dass auch ihre Eltern diese Situation mitgetragen haben. So hat es zum Beispiel immer Geschenke für alle zu Weihnachten gegeben.
„Insgesamt war alles noch unsicher“, erinnert sich Doris. „Das war eine Pilotphase für dieses Konzept.“ Ein Betreuungskind aufzunehmen ist eine Herausforderung für die ganze Familie, weil die Kinder ihre Vorgeschichte mitbringen. So haben alle die „Schreiattacken“ des ersten Kindes aushalten müssen. Ein anderes Kind war mit vier Jahren zu wickeln und hat mit Kot geschmiert.
Im Unterschied zu Pflegefamilien ist die IN-Betreuung in ein größeres System eingebettet: Für jedes Kind gibt es einen Fallanleiter oder eine Fallanleiterin. Es gibt eine nachgehende Elternarbeit, die Eltern werden also angerufen und müssen nicht von sich aus an Sozialarbeiter:innen herantreten. Grundsätzlich ist eine Rückführung in die Herkunftsfamilie ein wichtiges Thema. Die Kinder sollen, so gut es geht, Kontakt zu den Eltern aufbauen und aufrechterhalten können.
Die Kinder in IN-Familien sind älter als bei Pflegefamilien, sie haben außerdem Diagnosen wie Bindungsstörungen oder ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung).
Oft meinen die Kinder, sie seien schuld daran, dass ihre Eltern sie weggegeben haben oder dass sie den Eltern weggenommen worden sind. „Wir vermitteln ihnen, dass niemand schuld ist an der Situation, sondern dass die Kinder- und Jugendhilfe aus verschiedenen Gründen beschlossen hat, dass es notwendig ist, sie in einer anderen Familie unterzubringen“, betonen Doris und Kurt Hohenwallner.
Die Mutter eines Kindes wollte zum Beispiel selbst, dass ihr Sohn bei Familie Hohenwallner bleibt. Alle im System sind bemüht, ein gutes Miteinander zu schaffen – Eltern, Fallanleiter, die Kinder und Jugendlichen selbst und die IN-Familien. Das ist ein wesentlicher Grundstein für eine gute Entwicklung des Kindes.
Ist es für die betreuenden Eltern möglich, Beruf und Familie abzugrenzen? Rein zeitlich ist eine Abgrenzung nicht immer möglich. Doris Hohenwallner antwortet aber: „Wenn eines der Kinder wirklich so an meinen Nerven rüttelt, kann ich mir denken: ‚Doris, du kriegst dafür bezahlt.‘“
Ihr sei immer bewusst, dass das Verhalten eine Vorgeschichte hat und es ihr Job ist, mit dem gut umzugehen. Außerdem würden die beiden als Paar privat nie alle paar Wochen in Supervision gehen, für die Arbeit machen sie das. Auch Kurt fallen Dinge ein, die er mit den eigenen Kindern gemacht hat, die er mit den Pflegekindern nicht machen würde, etwa das betreute Mädchen abzutrocknen.
Der jüngste Bub sagt „Mama“ zu Doris, der mittlere Bub aber nennt den Familienvater „Kurt“. Die Hohenwallners sehen das pragmatisch. Eines der Kinder hat zu Beginn nicht viel mehr sagen können als „Mama“ und „Papa“, für ein anderes ist es praktischer, weil es Schulfreund:innen nicht ständig erklären muss, dass Doris und Kurt nicht Mama und Papa sind. Und dann gibt es Situationen, in denen das betreute Mädchen zum Vater sagt: „Papa, der Papa hat gesagt ...“ – „Da gibt’s eine 13 Jahre lange Geschichte, das ist dann einfach so“, erzählt Kurt Hohenwallner lachend.
www.soziale-initiative.at
1.582 Kinder wurden im Jahr 2022 in Oberösterreich außerhalb ihrer Familie betreut. Erste Anlaufstelle bei Schwierigkeiten in Familien ist die Kinder- und Jugendhilfe in den jeweiligen Bezirkshauptmannschaften oder Magistraten.
Zuständig dafür, dass es das notwendige Angebot gibt, ist das Land Oberösterreich. Die Kinder- und Jugendhilfe des Landes OÖ arbeitet dafür mit mehr als 200 privaten Einrichtungen zusammen.
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