Wort zum Sonntag
Von Mitternacht bis Mittag nichts essen und trinken, und das täglich – die ganze Fastenzeit hindurch. Diese grundlegende Fastenordnung der christlichen Kirchen im Nahen Osten ist streng. „Wie genau die einzelnen Christen das Fastengebot nehmen, ist eine andere, ist ihre Sache“, erklärt Michlin Alkhalil.
Ihre Familie in Damaskus hat die erste Woche der Fastenzeit, beginnend mit Montag, nicht Aschermittwoch gefastet, dann jeweils mittwochs und freitags und die gesamte Karwoche. „Wir waren keine ganz strenge Familie, aber ich habe die Fastenzeit wegen der frischen Kräuter, die auf den Tisch kamen, als sehr angenehm in Erinnerung.“ Zur christlichen Fastenzeit im Nahen Osten gehört nämlich, dass man die sieben Wochen bis Ostern vegan lebt.
Der Fastenzeit-Alltag hat für Michlin Alkhalil so ausgeschaut, dass sie sich nach Ende des Fastens mittags eine Kleinigkeit bei einem Stand an der Straße gekauft hat. „Die Stunden ohne Essen und Trinken gingen ganz gut, aber auch nicht zu rauchen – das war blöder“, meint sie schmunzelnd. Gegen vier Uhr am Nachmittag, wenn der Vater seinen Stand am Gemüsemarkt geschlossen hatte, wurde dann in der Familie gegessen.
In den Wochen der Fastenzeit beginnt es in Syrien vor allem an der Küste zu blühen und zu grünen. Da kann eine Reihe von frisch geernteten Kräutern verkocht werden. Dazu gehören zum Beispiel Hendbeh, eine Art Löwenzahn, oder Chuzeibeh, die Bärentatzen ähnlich schauen, oder Salbin, eine Distelart, von der dann die Zweige gegessen werden. Die Kräuter werden mit Olivenöl, Knoblauch und Zwiebeln – kalt oder warm –, manchmal auch mit Zitronensaft serviert. Dazu gibt es Brot. Linsen, Bulgur und Kichererbsen gehören ebenso dazu wie die „Ackerbohne“ (Saubohne), die einen wichtigen Platz in der Fastenzeit einnimmt. Auch mit Kräutern gefüllte Teigtaschen, Eintöpfe mit Mangold oder Falafel können am Speiseplan stehen.
Michlin wiederholt und betont mit Nachdruck: „Ich hab diese Speisen der Fastenzeit sehr gern gegessen und als sehr angenehm in Erinnerung.“
Ihre Großmutter hat das Fasten noch ernster genommen und – wie die Mönche – während der gesamten Wochen vor Ostern kein Öl für ihre Speisen verwendet. Darüber, ob Honig vegan sei, wurde kontrovers diskutiert, sicher ist, dass es in der Fastenzeit nur einmal Fisch gab: am 25. März, am Fest Maria Verkündigung.
In der Fastenzeit kreist aber nicht nur alles um Speisevorschriften. Ebenso wichtig ist das religiöse Leben. „In der Fastenzeit gibt es ein besonderes Programm“, erläutert Michlin Alkhalil. An den Freitagen waren abends bei den Marienandachten die Kirchen oft übervoll: „Als Jugendliche sind wir dann draußen gestanden. Das hat Spaß gemacht.“
An den Sonntagen haben sich Jugendliche gerne zum Besuch des Gottesdienstes vereinbart und danach gemeinsam etwas unternommen. Welcher christlichen Kirche man angehörte, spielte im Alltag der Gläubigen keine Rolle. „Erst als wir in die Kirche gingen, merkten wir: Ach so, heute sind wir bei den Maroniten oder bei den Rum-Orthodoxen oder bei den Syrern“, sagt die 1979 in Damaskus geborene Christin Michlin. „Es ist üblich, nicht nach Konfessionen zu trennen. Christ ist Christ.“ Auch muslimische oder alawitische Freunde von der Uni seien manchmal in die Kirche mitgegangen, erzählt Michlin von einer Zeit, die an Jahren nicht allzu lange zurückliegt, aber doch fern ist.
Nur dann, wenn man einen kirchlichen Amtsträger braucht, wird auf die Konfession geschaut: bei der Taufe oder Hochzeit. Und zu Weihnachten und Ostern: um zu klären, wann diese oder jene Familie wegen der unterschiedlichen liturgischen Kalender das Fest feiert. Zu den Festen geht man von Haus zu Haus, um einander zu gratulieren. Michlins Vater gehörte der melkitischen Kirche an, ihre Mutter war syrisch-orthodox: „Wir haben immer zweimal Weihnachten und Ostern gefeiert.“
In der Karwoche ist für die Frauen das gemeinsame Backen der Ostermehlspeisen angebracht. Michlins Mutter, die in Damaskus lebt, macht das bis heute. Fünf bis sechs Frauen treffen sich täglich, um die traditionellen Süßigkeiten zu machen. „Keine Frau macht das allein.“ Auch das religiöse Programm wird in der Karwoche nochmals intensiver.
Am Gründonnerstag besucht man sieben Kirchen – häufig im Freundeskreis. Am Karfreitag kommen viele Christen schwarz gekleidet zum Gottesdienst, manche weinen auch laut aus Trauer über den Tod Jesu. Dann folgt eine Prozession mit Blasmusik und Kerzen. Der Karfreitag ist besser besucht als der Ostersonntag, wo es dann zu Hause ein Festmahl gibt – die Speisen in weißer Farbe: Traditionell sind Milchreis und das erste Mal wieder Fleisch in weißer Yoghurtsoße.
Michlin Alkhalil, die mit ihrem Mann und den zwei Kindern nach der Flucht aus Syrien seit 2014 in Österreich lebt, bemüht sich, in ihrer Familie die Tradition der Fasten- und Festtagsspeisen aus der alten Heimat lebendig zu halten – eine Tradition, die nach dem Jahrzehnt des Bürgerkrieges und der politischen Unsicherheiten in Syrien selbst auch nicht einfach zu leben ist.
Zum Foto: Michlin Alkhalil ist seit 2023 Generalsekretärin der ICO – Initiative Christlicher Orient. Sie stammt aus Damaskus, hat dort Pharmazie studiert, im Zuge des Bürgerkriegs aber Syrien verlassen und ist 2014 mit ihrem Mann und den Kindern nach Österreich gekommen. Seit 2015 ist sie berufstätig.
Als ICO-Generalsekretärin ist sie für Hilfsprojekte besonders im Libanon, Irak und in Syrien verantwortlich. In den politisch aktuell schwierigen Zeiten in Syrien ist ihre Expertise sehr wertvoll.
Mehr über die Arbeit der ICO: www.christlicher-orient.at
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