Wort zum Sonntag
Sie haben selbst als Missionar im Amazonasgebiet gearbeitet und die Vorbereitung und den Verlauf der Amazonassynode als Theologe verfolgt. Wie fällt nun Ihre Bilanz zum nachsynodalen Papstschreiben zur Amazonassynode aus?
P. Franz Weber: Sehr differenziert – zum einen darf man für die mutige prophetische Stellungnahme zu den Überlebensfragen der Amazonasregion dankbar sein; zum anderen löst Einiges, was darin zu innerkirchlichen Reformanliegen gesagt – oder nicht gesagt – wird, in mir eine große Betroffenheit aus. Was Papst Franziskus in diesem Schreiben zum Ausdruck bringt, muss zunächst vor allem auf dem Hintergrund eines langen synodalen Weges verstanden werden. Diesen Weg ist die über ein riesiges Gebiet verstreute Kirche Amazoniens in vielen Vorbereitungstreffen in den Gemeinden, an denen nachweislich über 87.000 Menschen teilgenommen haben, mit bewundernswertem Wagemut gegangen. Was dabei an lebensbedrohenden Situationen, an Verbrechen, an Leid und Tod so vieler Menschen und Völker, aber auch an Hoffnungen und Erwartungen an die Kirche und an Reformvorschlägen zur Sprache gebracht wurde, ist auf überzeugende Art und Weise in die Arbeit der Synode eingeflossen und hat auch in deren Schlussdokument seinen Niederschlag gefunden.
Welche Beachtung finden dessen Inhalte aber im nachsynodalen Schreiben?
Weber: In den Kommentaren zu „Geliebtes Amazonien“ wird vielfach übersehen, welche zentrale Bedeutung Papst Franziskus dem Schlussdokument der Amazonassynode beimisst. Es sollte beachtet werden, dass er es nicht ersetzen möchte, sondern er will eine Zusammenschau einiger Anliegen bieten, die er bereits in früheren Dokumenten aufzeigte und die, so Franziskus wörtlich, „eine Hilfe und Orientierung für eine harmonische, schöpferische und fruchtbare Rezeption des ganzen synodalen Weges sein kann“. Es handelt sich also um keine lehramtliche Korrektur, auch um keine Festschreibung, sondern eher um eine Orientierung zum Weitergehen.
Der Papst gliedert das Dokument in vier Kapitel und widmet sich im ersten einer sozialen Vision: „Ich träumte von einem Amazonien, das für die Rechte der Ärmsten, der ursprünglichen Völker, der Geringsten kämpft, wo ihre Stimme gehört und ihre Würde gefördert wird.“ Was sagen Sie dazu?
Weber: Papst Franziskus entwirft auf eine sehr persönliche und ansprechende Art und Weise eine soziale Vision, die aber alles eher als ein realitätsfernes Träumen von einer besseren Welt ist, sondern eine an der Realität ausgerichtete „beinharte“ Prophetie, in der die vielen Formen des Unrechts und der Verbrechen, die in Amazonien begangen wurden und werden, und die Täter, die dafür verantwortlich sind, schonungslos benannt werden. In diesem Teil seines Schreibens nimmt Franziskus in verkürzter Form die wesentlichen Inhalte des Synodendokumentes auf, die in die Aufforderung an die Kirche münden, „auf den Schrei der Völker Amazoniens zu hören“ und „ihre prophetische Rolle wahrzunehmen.“ Nicht weniger überzeugend wirkt die mit tiefsinnigen poetischen Texten angereicherte kulturelle und ökologische Vision, in der Papst Franziskus darum bittet, „dass die Misshandlung und Ausbeutung von Mutter Erde, die blutet und am Ausbluten ist, aufhört“.
Man spürt Ihre Wertschätzung für Papst Franziskus diesbezüglich sehr …
Weber: Ja, und sie ist auch berechtigt. Denn dieser Papst und die Kirche, die seiner prophetischen Linie folgt, ist gegenwärtig für viele „überlebens-not-wendig“ – weil der politische und wirtschaftliche Mainstream in Amazonien buchstäblich über Leichen geht.
Und was macht Sie an diesem nachsynodalen Schreiben so betroffen?
Weber: Dass der Papst darin mit keinem Wort auf den von der Amazonassynode von einer großen Mehrheit der Delegierten abgestimmten Vorschlag eingeht, „dass die zuständige Autorität Kriterien und Ausführungsbestimmungen festlegt, nach denen geeignete und in der Gemeinde anerkannte Männer, die mit ihrer legitimen, stabilen Familie zusammenleben, zu Priestern geweiht werden können“! Begründet wurde dieser Wunsch der Synode mit dem Recht auf die Eucharistie, die in vielen Gemeinden im Amazonasgebiet nur sehr selten gefeiert werden kann, weil manchmal nicht nur Monate, sondern Jahre vergehen, bevor ein Priester kommt, der die Eucharistie feiert und das Sakrament der Versöhnung und der Krankensalbung spendet.
Sie vermissen einen konkreten Weg, um den priesterlichen Dienst in abgelegenen Regionen zu gewährleisten, der, wie es im Schreiben heißt, gefunden werden müsse …
Weber: Ja. Die Teilnahme an der Eucharistie sei, so hatte Papst Johannes Paul II. seinerzeit gelehrt, „für jeden Getauften wirklich das Herz des Sonntags“ und ein „unverzichtbarer Anspruch“. Warum darf dieses Herz in den Tausenden kleiner Gemeinden des Amazonasgebietes nur einmal im Jahr schlagen? Und warum bleiben vor allem die Armen an den Peripherien des Amazonasgebietes seit langem zu einem eucharistischen Hunger-leider-Dasein verurteilt? „Die Sakramente zeigen den nahen Gott, der barmherzig zu seinen Kindern kommt, um sie zu heilen und zu stärken. Sie müssen deshalb vor allem für die Armen zugänglich sein“, schreibt Papst Franziskus in seiner Liebeserklärung an Amazonien. Der innere Widerspruch in diesem Teil des Schreibens ist unübersehbar – und er berührt mich schmerzlich.
Wie haben Sie dieses Problem in Ihrer Zeit als Missionar in Brasilien erlebt?
Weber: Ich habe über Jahre in einer dieser riesigen Pfarren des Amazonasgebietes gearbeitet, in der ich in den meisten der Gemeinden im Landesinnern nur einmal im Jahr Eucharistie feiern konnte. Und wie hätte ich den Schwachen und Sterbenden in den manchmal mehrere hundert Kilometer vom Pfarrort entfernten Gemeinden regelmäßig das Sakrament der Versöhnung und der Krankensalbung spenden können?
Und was sagt das nachsynodale Schreiben über die Rolle der Frauen?
Weber: Auf diese Frage werden die engagierten Frauen, die im Amazonasgebiet die vielen kleinen Gemeinden leiten und fast alle Aufgaben in Verkündigung, Liturgie und Sozialpastoral übernehmen, selbst eine glaubwürdige und wohl auch sehr kritische Antwort geben. Im Schreiben wird zwar u. a. festgestellt, dass die Frauen in der Tat „eine zentrale Rolle in den Amazonasgemeinden spielen“ und dass „das Entstehen spezifisch weiblicher Dienste und Charismen angeregt“ werden soll. Sonst aber bleibt Papst Franziskus deutlich weit hinter der Synode und den Vorschlägen des Schlussdokumentes zurück. Auf die Forderungen, „den ständigen Diakonat für Frauen einzurichten“, geht das Nachsynodale Schreiben leider überhaupt nicht ein. Dass Papst Franziskus aber in diesem dringenden Reformanliegen ein endgültiges Urteil gefällt hätte, kann ich nicht erkennen.
Viele Erwartungen wurden aber enttäuscht ...
Weber: „Geliebtes Amazonien“ – wohin wirst du unterwegs sein? Diese Frage bleibt auch nach dem Schreiben von Papst Franziskus offen. In Vielem überzeugt dieses Dokument, in anderem aber bleibt es zweifellos hinter den Erwartungen und Hoffnungen zurück. Aber die von der Amazonassynode in pastoraler Verantwortung behutsam geöffneten Türen hat Papst Franziskus nicht verschlossen. «
- Weitere Reaktionen auf das nachsynodale Apostolische Schreiben des Papstes lesen Sie auf den Seiten 2, 3, 12, 13 und 32.
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