Wort zum Sonntag
Schon mehr als 30 Mal sind Sie den Bitten von Menschen in Notsituationen nachgekommen, ihnen Kirchenasyl zu gewähren. Wie war das für Sie, als Sie das erste Mal danach gefragt wurden?
Sr. Mechthild Thürmer: Das ging gewaltig unter die Haut. 2015 kam eine besorgte junge Frau in Begleitung eines traumatisierten Irakers nach Kirchschletten. Er war vor den IS-Kämpfern, die Menschen abgemetzelt und gefangen genommen haben, aus seiner Heimat geflüchtet und er erlebte auch unterwegs in einem ungarischen Gefängnis Schreckliches. Da ihm die Abschiebung zurück nach Ungarn drohte und er Angst hatte, dort wieder gefoltert zu werden, bat er mich um Kirchenasyl.
Haben Sie lange darüber nachgedacht, ob Sie das tun?
Sr. Mechthild: Als ich seine Geschichte hörte, war mir sofort klar, da muss ich helfen. Bloß wie? Ich wusste zwar, dass die Kirche Menschen in absoluten Notlagen vor Verfolgung schützen und Asyl gewähren kann, doch ich hatte keine Ahnung, was in einem konkreten Fall zu tun ist. Vor allen Dingen habe ich meine Mitschwestern gefragt, was sie davon halten, denn das konnte ich ja nicht alleine entscheiden und tragen. Nachdem Bedenken ausgeräumt wurden und sie zustimmten, bin ich drangegangen, mich über Formalitäten und Vorschriften zu informieren. Jeder einzelne Fall wurde dann stets von Frau Nickel vom Katholischen Büro in München korrekt geprüft und fast alle unsere Kirchenasylanten haben in Deutschland bleiben dürfen.
Welcher Moment hat Sie besonders bewegt?
Sr. Mechthild: Das war, als mich der junge Iraker, der es aus Sorge um seine kranke Mutter hier nicht mehr aushielt und heimflog, von zu Hause anrief, dass es ihm gut geht, dass er seine Mutter wieder gesehen hat und dass seine Schwester und sein Vater, die ein Jahr in der irakischen Stadt Mossul unter den IS-Kämpfern eingekreist waren, wieder frei sind. Da konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten, weil er nach so langer Zeit der Angst endlich in Sicherheit war. Sein Bedürfnis, mir das gleich mitzuteilen und sein Dank für meine Hilfe, haben mich sehr bewegt. Über Facebook sind wir immer noch befreundet.
Einander helfen und sich gegenseitig wertschätzen – sind Sie so erzogen worden? Ihre Eltern hatten ja eine Landwirtschaft im bayerischen Allersdorf ...
Sr. Mechthild: Ja, ich bin mit der Mistgabel aufgewachsen. Das Leben war einfach und arbeitsam. Wir Kinder – ich bin die älteste von sechs Geschwistern – durften am Hof mithelfen. Dafür bekamen wir auch Anerkennung und Lob. Ich weiß noch, als wir von der Schule fast heimgerannt sind, um Garbenbänder aufs Feld zu legen. Darauf haben unsere Eltern dann das gemähte Getreide gehäuft, festgebunden und die so genannten Garben zum Trocknen aufgestellt. Geholfen haben wir auch in der Nachbarschaft, z. B. als ein Haus gebaut wurde und Steine abgeladen werden mussten. Da war ich 14. Als Belohnung gab es eine Brotzeit. Mein Vater hatte damals keine Zeit, also machte ich das. So lernte ich sehr früh, Verantwortung zu übernehmen.
Wollten Sie ursprünglich Bäuerin werden?
Sr. Mechthild: Nein, ich habe eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht. Mein Plan war, in die Entwicklungshilfe zu gehen. Ich dachte auch daran, zu heiraten und sechs Kinder zu bekommen. Doch dann lernte ich das Kloster in Kirchschletten kennen. Zunächst konnte ich dort aus Zeitmangel nicht hin, aber meine Freundinnen haben mich überredet, mit ihnen in der Abtei die Fenster zu streichen. Als ich das erste Mal das Chorgebet der Schwestern hörte, war das für mich ein Singen, wie im Himmel. So oft wie möglich verbrachte ich dann meine Freizeit in Kirchschletten. Und ziemlich bald stand fest: Ich möchte so werden wie diese Ordensfrauen. Also trat ich nach dem Staatsexamen mit 20 Jahren schnurstracks ins Kloster ein – das war vor 43 Jahren. Als Benediktinerin der Abtei Maria Frieden konnte ich wegen der Ordensregeln jedoch nicht als Krankenschwester arbeiten, sondern ich durfte mich in die Bereiche innerhalb des Klosters einbringen – in die Landwirtschaft, ins Gästehaus und in die Verwaltung. Erlaubt ist aber, als Religionslehrerin in den Schulen zu unterrichten. Das mache ich seit 40 Jahren.
Sie sind Äbtissin der Abtei. Wie gestaltet sich neben dem Religionsunterricht Ihre Arbeit?
Sr. Mechthild: Die ist höchst vielseitig. Ich weiß in der Früh nicht, was der Tag noch alles bringt. Der liebe Gott gibt mir immer die Weisheit, das Wichtige rauszukristallisieren. Für Vieles trage ich die Verantwortung. Aber wir sind eine Gemeinschaft von neun Schwestern – vier deutsche, eine japanische und vier philippinische – und jede einzelne wird gebraucht. Ich war tief beeindruckt, als die damalige Äbtissin Mutter Gertrud zu mir sagte: Wenn das kleinste Schräuble an der Uhr fehlt, dann läuft sie nicht – auch wenn die Zeiger aus Gold sind. Putzen, kochen, sich um den Misthaufen kümmern. Jede Arbeit ist wertvoll.
Wie geht es Euch in der Pandemie?
Sr. Mechthild: Wir Schwestern sind gesund und alle geimpft. Ich denke, je mehr Menschen sich gegen Corona impfen lassen, desto schneller kriegen wir die Pandemie in den Griff. Für uns war es vor allem finanziell herausfordernd, weil wir vor einem Jahr keine Gäste aufnehmen durften. Und vom Staat gab es null Unterstützung. Das waren gewaltige Einbußen. Jetzt ist es besser, Geimpfte und Genesene können kommen.
Wir sind im Advent und das Weihnachtsfest steht bevor. Herbergsuche damals und Menschen auf der Flucht heute – wie sehen Sie diesen Vergleich?
Sr. Mechthild: Wie die Asylsuchenden heute, war auch Jesus ein Flüchtling. Ein Engel hat Josef im Traum aufgerufen, mit Maria und dem kleinen Jesus nach Ägypten zu fliehen, da Herodes das Kind – den angekündigten Messias –, sucht, um es zu töten. Wenn ich einen Menschen vor mir habe, der nicht weiß, wo er seinen Kopf hinlegen soll und der Angst vor dem Gefängnis oder vor der Überführung zurück in sein Herkunftsland hat, wo er Schlimmstes erlebte – gerade dieser Mensch braucht Asyl. Und wen nehme ich da auf? Christus. In unseren benediktinischen Ordensregeln heißt es: Im Abt Christus sehen. Im Mitbruder, in der Mitschwester Christus sehen. Im Gast Christus sehen. Also muss ich auch im Asylsuchenden Christus sehen. Und wenn heuer kein Kirchenasylant kommt, weil die Grenzen dicht sind, dann können wir jedenfalls beten und uns im Gebet vernetzen.
Würden Sie wieder Kirchenasyl gewähren?
Sr. Mechthild: Ja. Ich fürchte mich auch nicht vor strafrechtlichen Konsequenzen, weil ich mich nicht schuldig fühle. Deshalb habe ich auch die Geldstrafe von 2.500 Euro nicht bezahlt. Jetzt droht mir eine Freiheitsstrafe. Die Verhandlung steht noch aus. Vorgeworfen wird mir Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt in mehreren Fällen. Manche meinten, sie würden finanziell etwas beisteuern und ich soll das Geld überweisen, um meine Nerven zu schonen. Doch das tue ich nicht. Wenn ich einem Menschen in einer ausweglosen Situation helfe, dann kann ich mich nicht freikaufen. Diesen Leuten Asyl zu gewähren war notwendig. Ich konnte nicht anders handeln. Es geht darum, jedes einzelne Menschenleben vor Folter, Krieg, Vertreibung und Verfolgung zu schützen. «
Infos zur Abtei Maria Frieden: www.abtei-maria-frieden.de
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