Wort zum Sonntag
Seit mehr als 20 Jahren lebt Markus Bugnyár in Jerusalem, und beinahe ebenso lange leitet er dort das „Österreichische Pilger-Hospiz zur Heiligen Familie“. Dementsprechend oft hat er Weihnachten im Heiligen Land gefeiert.
Gruppen und Einzelreisende füllten jedes Jahr in der Weihnachtszeit das 160 Jahre alte Pilgergästehaus, in dem über 100 Betten zur Verfügung stehen. Doch heuer ist einiges anders. Pilgergruppen sind aufgrund des anhaltenden Kriegs im Nahen Osten nicht zu erwarten.
Mit Einzelreisenden rechnet Rektor Bugnyár dennoch für die Festtage und versucht, der schwierigen Situation einen positiven Aspekt abzugewinnen: „Wir haben heuer mehr Zeit für unsere Hausgemeinschaft.“ Acht Österreicher verrichten im Pilger-Hospiz einen einjährigen Freiwilligendienst.
Abgesehen von der ungewohnten Ruhe im Haus wird Weihnachten aber fast wie üblich gefeiert: Der Abend beginnt mit einer kleinen Weihnachtsfeier für die Volontäre und andere Mitarbeitende, dabei werden zwei, drei Weihnachtslieder gesungen und das Evangelium vom Heiligen Abend vorgelesen. Am Nikolausabend wurde bereits ausgelost, wer wen beschenkt, und so folgt eine kleine Bescherung.
Danach steht die Hausgemeinschaft wieder im Dienst der Gäste, auch wenn es nur wenige sind. Zum festlichen Abendessen gibt es Truthahn. Wann sich der amerikanische Brauch eingeschlichen hat, kann Rektor Markus Bugnyár nicht mehr sagen.
Er unterstreicht den Festcharakter. „Man isst hier sehr viel Hühnerfleisch, weil es nicht so teuer ist wie andere Fleischsorten. Wie viel man bereit ist auszugeben, symbolisiert den Festgehalt. Der Truthahn wird dann auch staatstragend in den Speisesaal geschoben und tranchiert.“
Die Weihnachtsmette wird im Österreichischen Hospiz in Jerusalem um 21 Uhr gefeiert, weil sich viele Gäste danach zu Fuß auf den Weg nach Bethlehem machen. Die rund zehn Kilometer legen sie auch in gemütlichem Tempo in längstens drei Stunden zurück. Den Checkpoint zwischen Jerusalem und dem Westjordanland zu passieren, wird dieses Jahr schwieriger sein als sonst, aber für Gäste aus dem Ausland dennoch möglich, erwartet der Hospiz-Rektor.
In Bethlehem selbst wird die Heilige Nacht anders aussehen als bisher. Die Patriarchen der christlichen Kirchen haben sich abgesprochen und entschieden, dass Weihnachten zwar in den Kirchen mit festlichen Liturgien gefeiert wird, dass die sonst üblichen kirtagsähnlichen Feiern im Freien aber nicht stattfinden werden. Das soll die Solidarität der christlichen Minderheit mit den vielen Todesopfern im Land zeigen.
Außerdem, meint Rektor Bugnyár, könnten die 1,8 Prozent Christen und Christinnen im Heiligen Land auch leicht „zwischen die Fronten“ geraten, wenn sie sich provokant verhielten.
Das betrifft sowohl das Weihnachtsfest des lateinischen (römisch-katholischen) Ritus, als auch das Weihnachten der Orthodoxie am 6. Jänner und das der Armenischen Apostolischen Kirche am 18. Jänner.
Der Ökumene kommt bei der christlichen Minderheit eine hohe Bedeutung zu. Sie wird auch im Österreichischen Pilger-Hospiz geschätzt und bewirkt, dass die Christbäume dort bis Anfang Februar stehen bleiben.
Christbäume in Jerusalem? „Tannen wachsen in Israel nicht“, versichert Markus Bugnyár. So greift das Hospiz auf die Variante aus Kunststoff zurück. „Auch wenn es mir in der Seele weh tut ...“, setzt der Rektor hinzu.
Eine andere Angewohnheit tut der Seele dafür gut: „Dass ich einen Adventkranz von zuhause mitnehme. So ertrage ich die Bäume aus Kunststoff besser.“
In Israel sind der 25. und 26. Dezember keine gesetzlichen Feiertage, sondern Werktage. Allerdings haben Christ:innen zu Weihnachten Anspruch auf arbeitsfreie Tage, je nach Konfession zum passenden Termin.
Entsprechend haben Angehörige des jüdischen oder islamischen Glaubens und anderer Glaubensgemeinschaften Anspruch auf freie Tage an ihren Feiertagen. Unterm Strich kommen alle auf dieselbe Anzahl freier Tage.
Den meisten Menschen in Israel ist zurzeit nicht wirklich zum Feiern zumute – gleich, welcher Religion sie angehören. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel hat sich die Stimmung im Land verändert.
Anfang 2023 war noch ein Riss durch die Gesellschaft gegangen. „Die Unzufriedenheit mit der rechtsextremen Regierung bewirkte große Spannungen. Das Land war tief gespalten“, blickt Rektor Markus Bugnyár zurück. „Das war wahrscheinlich mit ein Auslöser, dass es zu den Massakern kam. Ganz biblisch: Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben. Davon haben die äußeren Feinde profitiert.“
Jetzt gebe es jedoch das gegenteilige Phänomen: Ob in den Straßen, auf Plakatwänden oder Autobussen sieht man Poster, Texte und Hinweise, die Einigkeit einmahnen. „Es sind einfache Sinnsprüche, wie ‚Gemeinsam werden wir siegen‘, ‚Die Kraft liegt in der Einheit‘ oder ‚Wir müssen zusammenhalten‘. Der Riss ist weg.“
Viele Israelis, so Bugnyár, hätten sich freiwillig für Begleitdienste hinter den Kampfhandlungen gemeldet, auch viele Ultraorthodoxe, die nicht mit der Waffe kämpfen. Andererseits hätten manche Menschen das Land verlassen, um nicht eingezogen zu werden.
Das starke Gefühl der Einheit seit dem 7. Oktober in Israel heiße aber nicht, dass man unkritisch geworden sei. Es sei an der Zeit, dass auch Regierungschef Benjamin Netanjahu seinen Teil der Verantwortung übernimmt. „Fast alle, die in Militär und Geheimdienst eine Führungsposition innehaben, haben bereits ihren Rücktritt angekündigt für die Zeit, wenn der Krieg vorbei ist.“ Das erwarte man auch von Ministerpräsident Netanjahu.
„Wenn der Krieg vorbei ist“ hört sich derzeit noch nach einer entfernten Vision an. Welche Vision hat der Rektor des Österreichischen Pilger-Hospizes in Jerusalem für den Nahen Osten? „Kurzfristig: Das Ende der Kriegshandlungen. Längerfristig: Der Nahostkonflikt leidet daran, dass jede Konfliktpartei überzeugt ist, jeweils Opfer zu sein. Jede aus anderen Gründen.“
Für die Menschen seien nun drei Dinge besonders wichtig: „Wohlstand, Sicherheit und Vertrauen.“ Zum Wohlstand gehörten ausreichend bezahlte Jobs, Ausbildung und Perspektiven für die Kinder. Zur Sicherheit zählt Bugnyár, „dass man keine Angst haben muss, von A nach B zu gehen. Da reden wir noch gar nicht von Bürgerrechten“.
Momentan hätten beide Seiten zu wenig Wohlstand, Sicherheit und Vertrauen. „Das Misstrauen vergiftet hier die Atmosphäre, die Angst davor, hintergangen, belogen oder ausgenützt zu werden.“ Wenn man das Gegenüber jedoch in seiner Gottebenbildlichkeit ernst nehme, würde sich das auf das Vertrauen und den Respekt auswirken: „Das ist die Basis für alles Weitere.“
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