Wort zum Sonntag
„Bei einem Begräbnis führt uns nicht der Tod, sondern das Leben zusammen"
Der Bestattungskultur wird oft ein Wandel unterstellt. Was beobachten Sie?
Martin Dobretsberger: Was sich verändert, sind die Wünsche. Das hat damit zu tun, dass es heute mehr Möglichkeiten bei der Ausgestaltung der Trauerfeier oder der Beisetzung gibt. Aber die Bedürfnisse dahinter bleiben gleich: Der Tod bringt die Angst mit sich, dass eine Beziehung für immer verloren ist. Das Grundbedürfnis der Trauer ist daher jenes nach Sicherheit. Rituale vermitteln Sicherheit. Ein Problem entsteht, wenn ich sie nicht verstehe, weil ich vielleicht dem Glauben nicht mehr so sehr verbunden bin. Alle, die Trauernde begleiten, sollten das Ziel haben, durch Sinnstiftung und Sinnerklärung Sicherheit zu vermitteln.
Mit „Ritual“ meinen Sie das Zusammenspiel von Handlung, Wiederholung und Sinn. Ist es das Problem heute, dass der Sinn zu wenig vermittelt wird?
Dobretsberger: Die Frage lautet stets: Was ist der Sinn? Denken wir an das Nachgeben der Erde am offenen Grab: Die Handlung ist bekannt, die meisten Menschen haben das schon gemacht. Die Wiederholung vermittelt eine erste Sicherheit. Erkennt man aber den Sinn nicht, rotieren die Gedanken weiter. Hier ist eine Erklärung wichtig: Christlich betrachtet steht hinter dem Ritual der Satz: „Von der Erde bist du genommen, zur Erde kehrst du zurück.“ Das verweist mich auf meine Endlichkeit und sagt: Nimm dich im Angesicht der Ewigkeit nicht so wichtig. Einer Generation wie jener nach dem Krieg, als es stark um das gemeinsame Wohl ging, war das leichter erschließbar als heute, wo es heißt, jeder sei sich selbst der Nächste.
Haben christliche Rituale also ein Sinnangebot über das Christentum hinaus?
Dobretsberger: Ja, denn wenn sich eine Gesellschaft wandelt, ist es gut, wenn manche Werte gleich bleiben. Das verleiht Beständigkeit. Im Übrigen hat auch das Christentum Rituale aus früheren Kulturen übernommen und mit dem Glauben verbunden. Ich finde es gut, wenn die Kirche den Glauben an die Auferstehung in einer Sprache einfließen lässt, die heutige Menschen verstehen, die aber jene nicht verschreckt, die das Ritual von früher kennen.
Was können Menschen tun, die Angst vor einem Begräbnis haben, weil sie das nicht gewohnt sind?
Dobretsberger: Es hilft, bei der Kleidung nicht über die Stränge zu schlagen und nach Möglichkeit auf Wünsche der Trauerfamilie einzugehen. Hilfreich ist, gemeinsam mit anderen zu kommen. Wer etwas mitnimmt, etwa eine Blume, kann sich ein Ritual zurechtlegen: Direkt vor dem Sarg erfasst manche Menschen eine Schockstarre. Wer sein im Gedanken vorbereitetes Ritual durchführt, also zum Beispiel die Blume auf den Sarg legt, durchbricht die Handlungsunfähigkeit. Liegen Kondolenzbücher auf, kann man sich vorher überlegen, was man schreibt.
Welche Lehren ziehen Sie aus der Coronazeit?
Dobretsberger: Zu den negativsten Erfahrungen gehörte die Phase, als nur fünf Menschen an Begräbnissen teilnehmen konnten. In Trauer zu leben, ist in unsicheren Zeiten besonders schwierig. Wir haben zudem erkannt, wie wichtig auch die Aufbahrung für die Möglichkeit des Abschiednehmens ist. Menschen vermissten die Zehrungen: In den Jahren vor Corona waren sie oft als wenig pietätvoll kritisiert worden. Die Erfahrung, direkt nach einem Begräbnis allein nach Hause gehen zu müssen, hat aber ihren Wert gezeigt: Hier kann man den am Begräbnis angestoßenen Erinnerungen Raum geben. Es kommen auch jene zu Wort, die das bei der Feier nicht konnten. Denn eigentlich führt uns beim Begräbnis nicht der Tod zusammen, sondern das Leben, das wir mit dem Verstorbenen geteilt haben.
Was braucht es, um Bestatter/in zu sein?
Dobretsberger: Für die Selbstständigkeit sind eine Befähigungsprüfung sowie zweijährige Praxis Voraussetzung. Aber Bestatter zu sein, ist Berufung: Man sollte Menschen lieben, weil man anderen Lebenszeit schenkt. Der Bestatter ist verpflichtet, 24 Stunden am Tag 365 Tage im Jahr erreichbar zu sein. Das tut sich nur der an, der einen Sinn darin sieht. Wir haben in Oberösterreich auch sehr kleine Bestattungsunternehmen mit 14 oder 15 Begräbnissen im Jahr. Die dauernde Erreichbarkeit rechnet sich da nicht – und trotzdem tun diese Menschen das, weil sie sich berufen fühlen.
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