Wort zum Sonntag
Mehr als 50 Menschen stehen vor der Tür des urbi@orbi. Das kleine Kirchenzentrum, das sich nach der Abzweigung der Bethlehemstraße von der Landstraße befindet, könnte die Leute gar nicht fassen, die hier versammelt sind. Die Gruppe wartet auf den Stadtspaziergang, den nach Stadtpolitikern und dem evangelischen Superintendenten Gerold Lehner diesmal Bischof Manfred Scheuer anführen wird.
Alle sind neugierig, wohin der Bischof, der mit Unterbrechungen schon 26 Jahre in der Landeshauptstadt verbracht hat, gehen wird. An zwei Orten soll er erklären, was er besonders mit der Stadt Linz verbindet und was er für ihre Zukunft für bedeutsam hält.
Als der Bischof die Gruppe auf der Landstraße Richtung Mozartkreuzung führt und dann in die Rudigierstraße einbiegt, scheint die erste Station klar zu sein: der Mariendom. Doch der Bischof hat anderes im Sinn.
Zwischen dem Ordensklinikum der Barmherzigen Schwestern und dem inzwischen leer stehenden Mutterhaus der Marienschwestern bildet der Menschenrechtsbrunnen ein markantes Denkmal. An das Mitte der 1980er Jahre gestaltete begehbare Objekt sind Metallplatten angebracht, auf denen die Deklaration der Menschenrechte – von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 proklamiert – zu sehen ist.
„Ma, gibt’s da viel zu lesen“, kommentiert ein Teilnehmer des Stadtspaziergangs den ersten Halt. Auf sieben Tafeln ist die Deklaration zur Gänze zu lesen.
Die Stadtspaziergänger:innen vor dem Menschenrechtsbrunnen auf dem Friedensplatz
Ausgehend von diesem Denkmal erläutert Bischof Scheuer Aspekte der nationalsozialistischen Geschichte von Linz: „Wir sind an der Bischofsstraße vorbeigegangen, wo Adolf Eichmann von 1914 bis 1933 lebte, am Ursulinenhof, wo Franz Jägerstätter im Frühjahr 1943 inhaftiert war, und vom Friedensplatz aus sieht man das Kolpinghaus, das von der Gestapo genutzt wurde.“
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, lautet der weithin bekannte erste Satz des Artikels 1 der Erklärung der Menschenrechte. Deren Proklamation ist für den Bischof nur mit dem Hintergrund der menschenverachtenden NS-Herrschaft und des Weltkriegs zu erklären: „Die Radikalität des Bösen hat dazu geführt.“
Dass die Stadt Linz mit dem Denkmal einen Friedensplatz geschaffen hat, ist ein starkes Signal und ein Bekenntnis, betont Bischof Scheuer: „Die Menschenrechte muss man aber immer wieder neu buchstabieren.“ Er verweist auch auf das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder und auf deren Gründer Johannes von Gott. Die Ordensgemeinschaft ist heute weltweit im Gesundheitswesen tätig. Johannes hat im spanischen Granada des 16. Jahrhunderts die Betreuung der Kranken revolutioniert, indem er zum Beispiel jedem ein eigenes Bett gab. Er gilt als Pionier des modernen Gesundheitswesens.
Nicht nur die Barmherzigen Brüder, eine Reihe von Ordensgemeinschaften haben das Stadtbild von Linz mitgeprägt, ergänzt der Bischof, wie etwa die Karmelitinnen. Auch wenn die Schwestern – aktuell sind es sieben – in strenger Abgeschiedenheit leben, sind sie durch das Gebet mit den Nöten der Menschen intensiv verbunden. „Orte der Kontemplation tun der Stadt gut“, sagt Bischof Scheuer, der regelmäßig mit den Ordensfrauen Gottesdienst feiert.
Vorbei am Kloster der Karmelitinnen begibt sich die Gruppe in das Vinzenzstüberl, einer Einrichtung des Ordensklinikums der Barmherzigen Schwestern. Wo bis 14 Uhr noch obdachlose und bedürftige Menschen zu Mittag gegessen haben, nehmen zwei Stunden später die Teilnehmer:innen des Stadtspaziergangs Platz. Zwischen 30 und 70 Personen kommen täglich zum Essen ins Vinzenzstüberl. Sie werden von vier Angestellten des Klinikums und einem Team von zwölf bis 18 Ehrenamtlichen betreut.
Für den Bischof ist die Einrichtung natürlich kein Ersatz für Sozialleistungen des Staates und eine nachhaltige Sozialpolitik: „Aber es gibt Situationen, wo es das braucht.“ Was dieser Ort für die Zukunft der Stadt Linz bedeutet, wird der Bischof nachdrücklich gefragt: „Die Gesellschaft hat nur dann Zukunft, wenn sie die Kleinen und Schwachen nicht abhängt und nicht vergisst.“
Der Leiter des urbi@orbi Markus Pühringer (li.) mit Johannes Hessler, der als Wertevorstand des Ordensklinikums Barmherzige Schwestern auch für das Vinzenzstüberl verantwortlich ist.
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Turmeremitin Birgit Kubik berichtet über ihre Woche in der Türmerstube hoch oben im Mariendom Linz >>
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