Mira Stare ist Bibelwissenschaftlerin an der Kath.-Theol. Fakultät Innsbruck und Pfarrkuratorin in der Diözese Innsbruck.
Der Pfad windet sich steil durch den Bergwald. Mit jedem Höhenmeter öffnet sich die Welt – die Hektik des Alltags bleibt im Tal zurück. Die ersten Schritte sind an diesem kühlen Frühsommermorgen noch etwas zögerlich, was sich aber bald ändern wird. „Geh du voran und gib das Tempo vor“, hat Gerhard Hackl, „Bergpfarrer“ aus Vorderstoder vor dem Losgehen vorgeschlagen. Eine gute Idee, denn der 66-jährige Priester ist durch seine täglichen Bergtouren so fit, dass er normalerweise viel schneller ist, wenn er allein unterwegs ist. Nach einem schweren Schlaganfall vor über 20 Jahren, bei dem er zeitweise halbseitig gelähmt war, hat er den Berg für sich neu entdeckt und seither abertausende Höhenmeter gesammelt.
Bei der Tour, die beim Parkplatz Bärenalm in Hinterstoder (ca. 630 m) startet, geht es aber nicht um sportliche Leistung, sondern um den Genuss der Natur. Da bleibt auch Zeit, um den Blick ins Tote Gebirge schweifen zu lassen oder die Blumen am Wegesrand zu bestaunen. „Jedes Mal, wenn ich in die Berge gehe, ist es anders: Das Licht, die Farben, die Vegetation, das alles verändert sich ständig. Das macht auch den Reiz des Bergwanderns aus“, sagt Gerhard Hackl. Im Juni blüht etwa der streng geschützte Gelbe Frauenschuh, eine der schönsten Orchideenarten. Manchmal etwas versteckt, aber Gerhard Hackls geübter Blick entdeckt die Blütenpracht quasi am laufenden Band. Nach einer knappen Stunde Gehzeit über Bergwege, Almwiesen und Karrenwege erreichen wir die Schafferreith-Alm, wo wir eine erste kurze Pause einlegen. Wer wenig Zeit hat oder es gemütlich angehen möchte, kann es hier natürlich auch schon gut sein lassen. „Das ist der Vorteil dieser Tour, dass es mehrere schöne Etappen gibt. Manchmal ist es sinnvoll, während des Gehens seine Ziele anzupassen. So wie im Leben auch“, sagt Hackl.
Wir gehen noch etwas weiter durch den Bergwald, vorbei an einem Rastplatz unter einem markanten Felsen, der die Bezeichnung Opferstock trägt. Nur wenige Minuten weiter stehen wir auf dem weitläufigen Almgelände der Bärenalm (auf rund 1.500 Meter Seehöhe), von wo man einen wunderbaren Blick auf die umliegenden Berge hat.
An diesem weiteren Etappenziel werden sich unsere Wege trennen. Für die Kirchenzeitung ruft heute nicht nur der Berg, sondern ein Termin im Tal. Der Bergpfarrer nimmt sich noch den Gipfel des Hirscheck (2.071 m) über die Türkenkarscharte (1.742 m) vor, was die Tour noch um gute zwei bis drei Stunden verlängert. Bevor er allein Richtung Gipfel weitergeht, ist noch Zeit für eine Pause. „Hier fühle ich mich eins mit der Natur“, erzählt Gerhard Hackl. „Man spürt am Berg, dass man ein kleines Geschöpf in der großen Welt ist. Das tut aber nicht weh.“ Für ihn hat diese Erkenntnis mit Respekt vor der Natur zu tun. Der Umweltschutzgedanke ist es auch, der zum zweiten Bergwandertipp inspiriert. Denn während die Tour im Talschluss von Hinterstoder mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum machbar ist, soll die nächste Bergwanderung mit dem Zug leicht erreichbar sein. Was bekanntlich gut ist für Umwelt und Klima.
Zwei Monate später treffen sich die Kirchenzeitung und Gerhard Hackl wieder zum Wandern. Ein heißer, aber auch teils verregneter Sommer liegt hinter uns, der Pfarrer ist aber trotz schlechter Witterung viele Touren gegangen. Heute ist es trocken und die Sonne scheint zum Glück nicht mehr so brütend heiß. Das Ziel heißt Dürrenschöberl, eine Wanderung, die in einem halben Tag zu bewältigen ist (rund 1.000 Höhenmeter rauf und runter), und die in den Wanderführern als Geheimtipp bezeichnet wird. Ganz so einsam ist es dann zwar nicht, wer es gerne ruhig hat, ist hier aber dennoch goldrichtig. Vom Bahnhof Rottenmann geht es los. Sowohl Schnellzüge als auch Regionalzüge machen hier Halt.
Nach dem Bahnhofsareal überquert man eine Brücke. Der Wanderweg zum Dürrenschöberl ist gut beschildert und geht stetig relativ steil nach oben. Auf halber Höhe hat man einen schönen Überblick über die Gipfel von Liesing- und Paltental. Ab rund 1.400 Meter Seehöhe verbindet eine Forststraße zur Mesneralmhütte (1.478 m). Über einen Steig geht es noch eine knappe Dreiviertelstunde weiter, bis wir schließlich den Gipfel des Dürrenschöberl (1.737 m) erreichen. Der sagenhafte Rundumblick entschädigt für all die Mühen des Aufstiegs. Beim Abstieg geht es ein paar Minuten den gleichen Weg zurück bis zu einer Weggabelung (1620 m). Zwecks der Abwechslung empfiehlt Gerhard Hackl von dort nicht wieder nach Rottenmann, sondern zum Bahnknotenpunkt Selzthal zu wandern.
Unzählige Heidelbeersträucher säumen den Wanderweg. Gerhard Hackl ist vorbereitet und packt ein Marmeladenglas aus, um Beeren zu pflücken. Es ist eine fast schon meditative Beschäftigung, was Gerhard Hackl wiederum zum Thema Spiritualität und Berge bringt: Er erzählt, dass das Bergsteigen mehr ist als nur eine Freizeitbeschäftigung – es ist für ihn eine Form der Meditation. „Ich bete eigentlich immer, das Spirituelle fließt quasi automatisch, wenn ich am Berg und auf der Alm am Berg bin, da bin ich Gott nahe. Ich staune, bin fasziniert und sehr dankbar. Hier oben hast du sowieso keine anderen Wünsche.“
Unten gibt es dann freilich doch einen Wunsch: den nächsten Zug gut zu erwischen. Doch das ist mit guter Planung nicht schwierig. Mit schnellen Schritten geht es auf dem Bergpfad durchwegs auf Naturboden bis an den Siedlungsrand bei der Volksschule. Vor der Kirche verbindet dann eine Straße zum Bahnhof Selzthal. „Und, bist du müde?“, fragt Gerhard Hackl am Ende der Tour. Dass er selbst noch viele Energiereserven hat, ist dabei unschwer zu erkennen.
Hinweis: Die beiden Wandertouren sind beide nicht allzu schwierig, führen aber über alpines Gelände und erfordern Trittsicherheit. Touren sorgfältig planen und auf Wetterbericht achten.
Mira Stare ist Bibelwissenschaftlerin an der Kath.-Theol. Fakultät Innsbruck und Pfarrkuratorin in der Diözese Innsbruck.
Turmeremitin Birgit Kubik berichtet über ihre Woche in der Türmerstube hoch oben im Mariendom Linz >>
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