Wort zum Sonntag
Wie verrückt muss man eigentlich sein, um die eigene Lebenshoffnung auf einen Hingerichteten zu gründen? Das dachte sich vermutlich bereits jener Karikaturist aus dem dritten Jahrhundert, der im antiken Rom ein großes T an eine Wand kritzelte; auf der Skizze ist zu sehen, wie an diesem T ein Mann mit Eselskopf hängt. Eine Person, die zu diesem Mann aufschaut, wird mit der Erklärung versehen: „Alexamenos betet (seinen) Gott an.“ Eine Religionskarikatur der Frühzeit, eine Verspottung der Christen, die an einen Gekreuzigten glauben – und eine irritierende Darstellung für jene, denen das Kreuz Jesu Christi heilig ist.
Jahrzehnte später findet sich allerdings im Glaubensbekenntnis von Nicäa ganz selbstverständlich der Satz: „Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden.“ Je mehr sich das Christentum in der damaligen Gesellschaft verbreitete, desto selbstverständlicher wurde das Kreuz. Es wurde nicht mehr als „Torheit“ und „Ärgernis“ gesehen, wie dies Paulus noch anmerkte (1 Korinther 1,21), sondern als Zeichen des Sieges. Später noch wurde das Kreuz als Symbol des „christlichen Abendlandes“ angesehen, das in öffentlichen Gebäuden anzubringen sei, so auch in Klassenzimmern. Die Kritik nichtreligiöser Eltern, die nicht wollten, dass ihr Kind in der Schule einen „nackten Hingerichteten“ anschauen müsse, verstörte, machte aber auch nachdenklich: Hatten möglicherweise jene Nichtglaubenden mehr von der Schande und dem Schock des Kreuzestodes verstanden als andere, die das Kreuz als Einrichtungsgegenstand oder Schmuckstück ansahen?
Kreuz – das heißt, einen Menschen zu Tode foltern, seine Botschaft und seinen Anspruch für gescheitert zu erklären und ihn letztlich als von Gott verworfen, ja verflucht anzusehen (Deuteronomium 21,23b). Tiefer kann ein Mensch nicht fallen. Alle, die mit einem solchen Gekreuzigten zu tun hatten, hüteten sich, auch nur die geringste Verbindung mit ihm einzugestehen. Dass sich die Jünger dieses Gekreuzigten aus dem Staub machten und untertauchten, ist auf dem Hintergrund dieser vernichtenden Bedeutung des Kreuzes mehr als verständlich. Nicht verständlich, sondern völlig überraschend und eigentlich irrwitzig erscheint es in diesem Zusammenhang, dass die Jünger in Jerusalem plötzlich öffentlich auftraten.
Ohne Rücksicht auf ihre Sicherheit, ihr Ansehen und die religiöse Ordnung in der Stadt behaupteten sie: „Diesen Jesus hat Gott auferweckt, dafür sind wir alle Zeugen“ (Apostelgeschichte 2,32). Und Petrus legt noch nach: Gott habe diesen Jesus „zum Herrn und Messias gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt“ (Apostelgeschichte 2,36b). Dieses Bekenntnis schlug ein wie eine Bombe: Der Gefolterte, der Gescheiterte, der Verworfene soll der „Herr und Messias“ sein? Das klang völlig absurd – aber diese Aussage findet sich klipp und klar im Bekenntnis von Nicäa, ohne dass uns diese ungeheure Provokation bewusst ist: „Er sitzt zur Rechten des Vaters …“
Was ist hier geschehen? Was trieb die Jünger und Jüngerinnen Jesu an, heftigen Gegenreaktionen zum Trotz aus der Versenkung aufzutauchen und Jesus als den lebendigen Herrn zu bekennen? Wir nennen die Ursache für dieses Handeln „Ostern“ und glauben, dass Gott den Gekreuzigten nicht im Tod ließ, sondern ihn auferweckte, bestätigte, erhöhte. „Der Gekreuzigte lebt“ – dieser kurze Satz ist der heiße Kern sowie der Motor des Lebens der Kirche.
Ohne Ostern wäre das kirchliche Leben im wahrsten Sinn des Wortes tot und die Kirche nicht viel mehr als ein Jesus-Gedenkverein. Gerade jetzt, in diesen fünfzig Tagen der österlichen Zeit, könnte uns die Wucht dieses Bekenntnisses neu bewusst werden, mit dem das Kreuz nicht wegerklärt wird, sondern als unsagbar radikales Zeichen der Liebe und des neuen Lebens zur Geltung kommt: Der Gekreuzigte lebt, und wir leben mit ihm.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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