Die 80-jährige Dr. Monika Nemetschek hat keine Scheu, offen zu reden. Über ihren Tod und über heikle Kirchenthemen. Die Professorin für Religionspädagogik macht im Interview klar, dass die Kirche nicht weiterbestehen können wird, ohne dass sie die Frauen voll und ganz in den Dienst der Verkündigung einbindet.
01.07.2014 - Interview: Franz Kogler und Josef Wallner
Frau Nemetschek, wie geht es Ihnen? Wenn ich ehrlich bin, geht’s mir wenigstens im Gemüt gut. Ich bin soweit guter Dinge. Es gibt aber auch schlechte Tage, sodass ich schon in der Früh nicht aufstehen kann. Dann kann ich oft kaum reden und bekomme Schüttelanfälle von einem essenziellen Tremor, das ist ein Bruder vom Parkinson.
Sie sind bekannt dafür, dass Sie unzählige Menschen begleitet haben. Machen Sie das noch? Ja. Ich führe sehr viele Telefonate, manchmal bis zu zehn am Tag, oft mit sehr bedrängten Menschen. Auch wenn es mich wirklich Kraft kostet, bringe ich es nicht zusammen, dass ich sage: „Mir geht’s heute nicht gut, pfiat di.“
Das Kranksein gehört zu Ihrem Leben und der Glaube auch. Wie bringen Sie das unter einen Hut? Dadurch, dass ich an Gott keine falsche Erwartung habe. Viele Leute haben angesichts meiner Krebserkrankung betroffen reagiert: „Das kann doch der Herrgott nicht zulassen, wieso denn Sie?“ Ich habe gesagt: „Wieso denn ich nicht?“ Ich habe aber gemerkt, dass viele meine Antwort nicht kapieren, weil wir von einer völlig falschen Ansicht ausgehen, die tief in uns sitzt: Wenn ich brav bin, werde ich belohnt, wenn ich schlimm bin, muss ich etwas einstecken.
Wie können wir uns das vorstellen? Gott ist nicht der, der am himmlischen Balkon lehnt, runterschaut und sagt: „Eine Multiple Sklerose hätt ich noch. Wem schicken wir denn die? Schauma einmal, wie der reagiert. Ein paar Krebs habe ich auch.“ So ist Gott nicht. Wir kommen in die Welt mit einer bestimmten genetischen Verfasstheit und einer bestimmten Sozialisierung, all das macht uns aus. Wir sind in einer Welt, in der es drunter und drüber geht und in der viele Angriffe auf unsere Gesundheit erfolgen. Wir sind all diesen Einflüssen ausgesetzt. Und unabhängig davon, ob wir gesund oder krank sind, jeder Mensch muss sterben. Das zeigt uns, dass wir hier auf Erden nicht zu Hause sind. Wir wandern zum Ziel über viele Hürden.
Als Sie die Diagnose „Krebs“ erhalten haben – , fragt man sich nicht doch: „Warum gerade ich?“? Nein, weil ich mein ganzes Leben schon etwas probiere, und zwar: So gut ich kann in seiner Gegenwart – in Gottes Gegenwart – zu leben. Und so kommt alles gesegnet auf mich zu. Und wenn nicht, wird es mir zum Segen.
Würden Sie nicht wesentlich effektiver wirken, wenn Sie gesund wären, in vollen Pfarrsälen und Hörsälen auftreten und Lebensmut verschenken könnten? Stimmt, das ist wirklich ein großer Schmerz für mich: dass ich keine Vorträge mehr halten kann. Dies ist mein Kreuz, das Kreuz meiner alten Tage, das ich anzunehmen versuche. Ich weiß, im Kreuz ist Heil. Ich habe viel darüber gebetet und bin nun überzeugt: Die Annahme dieses Schmerzes bringt all jenen Menschen Heil, denen ich jemals begegnet bin.
Das Thema Kranksein begleitet Sie Ihr ganzes Leben ... Ich war von Kindheit an mit Krankheit und von Krankheit gezeichnet. Die mangelnde Gesundheit war mein Stachel und meine Gnade. Ich war oft sehr an der Grenze, ohne physische Kraft. Da habe ich gespürt: Meine Gnade genügt dir. Wenn ich gewartet hätte, bis ich gesund und bei Kraft bin, wäre ich nie vor Menschen gestanden. Seine Gnade hat das möglich gemacht.
Sie haben mit 14 Jahren schon Ihre Großmutter gepflegt. Welche Lektion hat Sie das Leben dabei gelehrt? Eine sehr große. Ich habe begonnen, Jesus zuliebe zu handeln und zu dulden. Da war nicht das, wie man heute sagt: Man muss aufstehen und sich wehren. Das war damals nicht möglich. Ich musste die Situation annehmen. Ich habe die Nächte durchgewacht und bin in der Lateinstunde oft eingeschlafen. Meine Sitznachbarin hat mich aufgeweckt und ich musste mich für blöd anschauen lassen, weil ich nicht gewusst habe, wo wir gerade sind. Aber ich habe in dieser Zeit eine Jesusbeziehung entwickelt und ich konnte nur mit ihm und um seinetwillen das annehmen, was für einen jungen Menschen eigentlich inakzeptabel war. Das ist Gnade.
Das Gebet nimmt besonderen Stellenwert in Ihrem Leben ein. Wie beten Sie vor allem an den Tagen, an denen es Ihnen nicht gut geht? Das ist so: Ich halte mich an kurze Gebetsformulierungen oder an Schriftstellen. Wenn ich spüre, ich kann gar nichts mehr, es ist mir sauschlecht, dann wiederhole ich innerlich diese Sätze: Auf dich, o Herr, vertraue ich, in deinen Händen ruht mein Geschick. Immer wieder.
Ihr Gebet reduziert sich auf knappe Formeln ... Das sind Formeln, die mich in seiner Nähe halten. Und ich bete auch ganz bewusst mit dem Blick auf die Abertausenden Menschen, die mich bei Vorträgen gehört und mir geglaubt haben. Ich bin überzeugt, dass Jesus meine Hingabe so verwandelt, dass sie für diese Menschen zum Heil, zur Freude und Wandlungskraft wird. Das Wesentliche ist passiert, als Jesus am Kreuz hing und nichts mehr tun konnte. Er hat auch nicht gesagt: „Vater, lass mir noch ein paar Jahrl, weil wer weiß, was die nachher zusammenstiefeln.“ In seiner Hingabe passiert unsere Erlösung zu einem Gott der Liebe.
Sie reden nicht nur ganz offen über Krankheit, sondern auch über das Sterben. Haben Sie Angst davor? Nein, es ist kein Kampf für mich, an den Tod zu denken. Ich habe meine Körperlichkeit immer als Erdenkleid empfunden. Dieses Erdenkleid, das merke ich mittlerweile, ist zerschlissen.
So zerschlissen schauen Sie aber nicht aus ... Das ist eine eigene Erfahrung, wenn du merkst, wie dein Erdenkleid kaputt und abgenützt ist. Ich habe auch nicht sonderlich aufgepasst, bin mit Fieber zu Vorträgen gefahren. Ich habe alles in die Waagschale geworfen. Jetzt spüre ich, ich stehe knapp vor der Übersiedlung.
Das Wort Übersiedlung ist für Sie das Wort ... ... fürs Sterben. Auf meinem Partezettel, den ich schon vorbereitet habe, wird stehen: Ich, Monika Nemetschek, bin am ... übersiedelt in ein neues Sein, das ganz von Gottes Liebe durchwirkt ist. Ich habe heimgehen dürfen zu Gott, der Kraft meines Lebens. Meine Berufung und Freude war es, Botin der Liebe Gottes zu sein.
Ihr Buch „Gott im Leben des Kindes“ hat 13 Auflagen erreicht und Sie im ganzen deutschen Sprachraum bekannt gemacht. Wie können Kinder heute Gott erfahren? An ihren Eltern, die diese Beziehung haben. Wenn Eltern diese Beziehung nicht leben, kommt ein Kind auch nicht auf die Idee, an Gott zu glauben.
Und wenn das nicht der Fall ist ... Zu glauben ist heute schwerer geworden. Früher war ein religiöses Grundwasser da. Unsre Kinder, vor allem die Jugendlichen, haben kaum Vorbilder. Wenn ich an meine Großmutter denke: Da hab ich gesehen, dass der Glaube sie stärkt. Viele sind heute im religiösen Niemandsland. Wir leben in einer völlig neuen Zeit. Doch ich bin überzeugt: Jeder Mensch ist vom Geist geführt.
Sie kommen am 8. Oktober nach Linz ... Brennend gern. Ich habe das Gefühl, dass das was wird. Ich bin überzeugt, dass der Herr mir noch einmal schenkt, das zu tun, was die Freude meines Leben war: ihn zu verkünden.
Stichwort: Über die Kirche
Frau Nemetschek, Sie haben Ihr ganzes Leben in der Kirche und für die Kirche gearbeitet. Was bedeutet sie Ihnen heute? Wenn Glaube wie eine Leiter ist, gab mir die Kirche die Sprossen, damit ich höher steigen konnte. Ich spüre, nun bin ich am Ende der Leiter angelangt. Ich bin nicht aus der Kirche weggegangen, ich bin über sie hinausgeholt worden in eine neue Freiheit und Weite. Für mich war es enorm wichtig, als lebendiges Glied der Kirche im Hören auf die Kirche zu leben. Jetzt ist mir nicht mehr das Hören auf irgendwelche Autoritäten, sondern das Horchen wichtig. Horchen geht nach innen, ich muss es von innen her vernehmen.
Warum hat die Kirche in der Gesellschaft so viel an Glaubwürdigkeit verloren? Eine Evangelisierung, die einzig und allein von zölibatär lebenden Männern getragen wird, hat keine Zukunft. Die Kirche wird nicht weiterbestehen können, ohne dass sie die Frauen voll und ganz in den Dienst der Verkündigung einbindet. Da gehört natürlich die Eucharistiefeier dazu. Denn eine Frau hat einen völlig anderen Zugang zur Liebe und zum Heiligen.
Schattenseiten des Lebens – und wo bleibt Gott? Das Bibelwerk Linz hat das Buch „Schattenseiten des Lebens“ von Monika Nemetschek als Hörbuch herausgebracht. Es liest die Autorin. Ihre eigene Krebserkrankung wurde ihr Anstoß, über Leid, Gott und Tod nachzudenken.
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