Angehörige werden fremd, Sprache und Zeitgefühl gehen langsam verloren. Ist es in dieser Situation sinnvoll, mit dementen Menschen über Gott zu reden und mit ihnen Gottesdienst zu feiern? Wir haben bei den Alten-Seelsorgern Rupert Aschauer und Annemarie Aichinger nachgefragt.
Um der Bedeutung des Glaubens für demente Menschen auf die Spur zu kommen, geht es nicht ganz ohne einen kurzen Ausflug in die Psychologie. „Demenz ist rückläufiges Leben“, erklärt der Altenheim-Seelsorger Rupert Aschauer. Das geht so weit, dass demente Menschen schließlich in der Embryonalstellung – wie das Kind im Mutterleib – im Bett liegen. Die meisten glauben, dort zu sein, wo sie aufgewachsen sind, und reden oft von der Mutter. Annemarie Aichinger, ehrenamtlich im Altenheim Mauthausen tätig, fährt fort: Das Leben im Rückwärtsgang geht einher mit dem Verlust von Erinnerung, was zu großer Verunsicherung, mangelndem Selbstwertgefühl und zu Scham führt. Denn wenn sie es auch nicht mehr artikulieren können, spüren die Betroffenen genau, dass sie die Orientierung verloren haben.
Halt im Vertrauten der Kindheit
Hilfe bietet ihnen in dieser Situation der Rückgang zu allem, was in ihrem bisherigen Leben prägend war. Vor allem Erfahrungen und Rituale der Kindheit geben – zumindest zeitweise – wieder ein wenig Sicherheit. Da gehören für gar nicht wenige Menschen die Grundgebete und die Feier der Messe dazu. Darum hält sich Rupert Aschauer bei den Wort-Gottes-Feiern im Altenheim stark an den Ablauf der Eucharistie, weil das einen Wiedererkennungseffekt ermöglicht. Die Seelsorger/innen machen immer wieder die Erfahrung, dass Menschen, die nicht mehr mit anderen kommunizieren, das Vaterunser oder „Gegrüßet seist du, Maria“ – oft noch in der alten Fassung – sprechen können. „Eine Frau hat bei Gottesdiensten im kleinen Kreis allein das Glaubensbekenntnis vorgebetet“, erzählt Aichinger: „Das machte sie sehr stolz, weil es noch etwas gab, das sie konnte.“ Eine hohen Stellenwert hat auch das Singen, es ermöglicht einen besonderen Zugang zu dementen Menschen. Da Sprechen und Singen von zwei unterschiedlichen Zentren im Hirn gesteuert werden, können demente Menschen oft noch sehr gut singen. Und das tut ihnen gut. Die Seelsorger/innen im Altenheim Mauthausen haben darum eine Sammlung von 20 altvertrauten Liedern zusammengestellt. Eine Frau, die nicht mehr spricht, hat keine Probleme, zu alten Kirchenliedern die zweite Stimme zu singen, erzählt Aschauer. Er hat übrigens auch keine Scheu, dementen Menschen die Kommunion zu geben. „So lange sie Amen oder Danke sagen können oder sie die Hostie als solche erkennen, spende ich ihnen die Kommunion.“
Berührende Gottesdienste
Wichtig ist für Aichinger, bei religiösen Feiern die unterschiedlichen Sinne anzusprechen. Das beginnt beim Schmücken des Tischs mit alten, färbigen Übertüchern für den Kelch, die heute gar nicht mehr in Verwendung sind, und geht über den Einsatz von Weihrauch bis dahin, dass sie den Menschen zum Abschluss des Gottesdienstes mit Weihwasser ein Kreuz auf die Stirn zeichnet. „Demente reden häufig davon, zur Mutter heimzuwollen. Das zeigt, dass sie Geborgenheit und Sicherheit suchen. Ein Gottesdienst kann ein Stück weit diese Geborgenheit schenken“, betont Aichinger. Das wird manchmal daran sichtbar, dass sehr unruhige Leute beim Gottesdienst plötzlich ruhig sitzen bleiben.
Zuwendung lindert Leid
Seelsorge mit dementen Menschen bleibt eine ständige Herausforderung, weiß Aschauer aus Erfahrung: „Man braucht Spontaneität und Liebe, man muss das Herz sprechen lassen.“ Die liebevolle Zuwendung durch die Seelsorger/innen und alle anderen, die mit dementen Menschen in Kontakt sind, hilft, deren Leid zu lindern: die Selbstzweifel und die Scham. Das ist auch wissenschaftlich erwiesen: Die Demenz schreitet schneller voran, wenn die Betroffenen keine Zuwendung haben. „Darum ist die Nähe so wichtig, auch wenn demente Menschen in einer anderen Welt leben und sie uns unerreichbar scheinen“, so Aschauer. Eine Frau, die kaum mehr sprach, wollte unbedingt bei ihm beichten. Da er sie schon länger kannte, begann er ihr ihr Leben zu erzählen, zehn Minuten lang hatte er gesprochen und dann schloss er: „Das alles legen wir vor Jesus hin.“ Dann war Stille. Plötzlich beugte sich die Frau zu ihm und ihre Stirn berührte für einen kurzen Augenblick, für wenige Sekunden, seine Stirn: „Das war ein heiliger Moment.“
Hoffnung für demente Menschen
Für Altenseelsorger Rupert Aschauer beschreibt die biblische Erzählung vom brennenden Dornbusch (Ex 3,4–15) treffend die Situation des Glaubens für demente Menschen: Gott stellt sich Mose als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs vor. Er macht damit die Vergangenheit lebendig, der Rückgang in vergangene Erfahrungen prägt auch das Leben dementer Menschen. Gleichzeitig zeigt Gott aber deutlich, dass er für die Gegenwart zuständig ist. „Ich habe das Elend meines Volkes gesehen“, gilt in der Bibel den von den Ägyptern geschundenen Israeliten, aber genauso Dementen, die unter ihrem Leben leiden. Und schließlich offenbart Gott seinen Namen: Jahwe. Das heißt, ich bin da. Im Gottesnamen ist die tröstliche Zusage: In welcher Welt du auch immer lebst, auch wenn du die Menschen und die Menschen dich nicht mehr erreichen können, ich, Jahwe, bin dir nahe.