Italien: Christliche Initiativen in Corleone knüpfen Anti-Mafia-Netzwerk
Ausgabe: 1998/33, Italien
13.08.1998 - Paolo Ferrari, Bozen
„Wir sind von der reinen Polizeiarbeit und dem bloßen Widerstand gegen die Mafia auf allgemeineres Engagement umgestiegen“, erklärt der Bürgermeister von Corleone, Pippo Cipriani. „Heute versuchen wir das Anwerben krimineller Vereinigungen dadurch zu verhindern, indem wir der hohen Arbeitslosigkeit den Kampf angesagt haben.“Corleone mit seinen 12.000 Einwohnern an der Provinzgrenze zwischen Palermo und Agrigent gelegen, ist typisch für die Geschichte Siziliens. Seit den Bauernkriegen entwickelten sich in der Gegend um die ehemals byzantinische Festung die ersten Mafiatätigkeiten. Zuerst im Rahmen des Hirten- und Viehzüchterlebens, entwickelte sich der Ort zum Schauplatz zunehmend weiträumiger und erbitterter Mafiakriege, bis in unseren Tagen die sogenannten „Corleones“ an die Macht kamen. Zu ihnen zählt der 67jährige Toto Riina, einer der mutmaßlichen Bosse der sizilianischen Mafia. Corleone, Drehort für Mafiafilme, will nicht länger Synonym für die Bezeichnung von „Paten“ sein. „Der Wille ist da“, sagt Don Vincenzo Pizzitola, Pfarrer von Corleone, „die Vergangenheit mit ihren traurigen Bildern abzuschütteln und tatkräftig eine bessere Zukunft aufzubauen.“ Derzeit merkt man im täglichen Leben der Bergstadt, vor allem aber in der Mentalität der Jugend unzählige Zeichen für ethische Befreiung. Don Pizzitola: „Auch die Kirche trägt ihren Teil dazu bei.“ „omertá“ – das SchweigenMit dem Slogan „Abbatti il muro del silenzio e dell’omertá“ – Die Mauer des Schweigens niederreißen – haben kirchliche Initiativen ein Netzwerk aufgebaut. Sozial- und Umweltfragen werden gemeinsam gelöst. Gleichzeitig soll dadurch eine neue Gemeinschaft entstehen, die es ermöglicht die „omertá“, wie das Schweigen über die Mafia in Sizilien genannt wird, zu durchbrechen. Ihre Hoffnungen setzen sie dabei vor allem auf Jugendliche. Mit dieser Arbeit knüpft die Initiative an eine religiöse Tradition an, die in Corleone tief verwurzelt ist. Nicht umsonst wird der Ort auch „Stadt der hundert Kirchen“ genannt. Wenn auch heute einige nicht mehr existieren oder geschlossen sind, so lebt doch die Religiosität in den Menschen ungebrochen weiter. Heute gibt es 20 Bruderschaften, und religiös geprägte Bewegungen sind aktiv. Oder die „frati rinnovati“, die erneuerten Brüder, eine Gemeinschaft, die das Evangelium im Geist des heiligen Franziskus lebt und vor 25 Jahren von hier aus gegründet wurde. „Die Mafia“, betont Pfarrer Vincenzo Pizzitola, „ist nicht allein ein Problem der zivilen Gesellschaft, sondern auch für die Kirche. Zu lange hat man uns vorgeworfen, wir würden nichts gegen das organisierte Verbrechen unternehmen. Heute sind die christlichen Gemeinden aufgerufen, Wege für die authentische und konstruktive Arbeit der Kirche aufzuzeigen.“ Darum ist die Zusammenarbeit zwischen kirchlichen und politischen Einrichtungen in Corleone so wichtig. Bürgermeister Cipriani: „Es ist eine Gelegenheit zum ethischen Wachstum in unserer Gemeinde. So entwickeln sich zahlreiche Initiativen für das Leben im Dorf, aber auch darüber hinaus.“ Dabei bedeuten die Provinzgrenzen zwischen Palermo und Agrigent noch nicht das Ende, wie „Oltre l’accoglienza“ – mehr als Aufnahme –, eines der jüngsten Projekte, zeigt. Dabei startete Corleone eine Partnerschaft mit dem Dorf Ouesletia im Norden Tunesiens. Wie im eigenen Dorf auf Sizilien sollte den Menschen in schwieriger Situation ein würdiges Dasein gesichert und Arbeitsplätze geschaffen werden.Jugendlichen den Ausstieg ermöglichenDie jüngste Initiative, speziell für Jugendliche um Corleone, nennt sich Projekt „Pole Position“ und wird von der EU gefördert. Damit sollen speziell auf Sizilien für sozial stark benachteiligte Jugendliche im Alter zwischen 14 und 19 Jahren Arbeitsplätze geschaffen werden. Gerade diese Gruppe läuft Gefahr, von der Mafia angeworben zu werden. Durch gezielte Beratung wird ihnen dabei auch der Ausstieg aus der Organisation ermöglicht, und sie können wieder in die Legalität zurückkehren. Wovon träumen die Mitarbeiter der Initiative in Corleone? Der Richter Giancarlo Caselli, der seit der Ermordung Giovanni Falcones in Palermo die gefährlichste Staatsanwaltschaft Italiens leitet, hat seinen Traum so formuliert: „Worte und Leben tatsächlich verschweißen zu können – die Botschaft des Evangeliums aus den Sakristeien und bequemen Laufställen hinauszutragen. Tagtäglich einfach seine Pflicht erfüllen zu können, ohne deshalb gleich Anwärter auf Opfer- oder Heldentum zu werden.“ Paolo Ferrari, Bozen.