Solidarität ist aus der Mode gekommen. Was heute zählt ist das Konkurrenzprinzip. Und wer es nicht schafft, an der Spitze dabeizusein, hat sich für sein Scheitern selbst verantwortlich zu fühlen. Dieses vom Turbo-Kapitalismus verursachte Zeitgeistphänomen hat sich auch in der Selbstwahrnehmung einzelner niedergeschlagen. Gemeinschaftsgefühl und Solidaritätsbedürfnis haben in den letzten 25 Jahren zunehmend einer Ich-Bezogenheit Platz gemacht. So ein Forschungsergebnis des renommierten Frankfurter Psychoanalytikers H.-E. Richter.Richter sieht im Egoismus jedoch nicht ein naturgegebenes Verhalten und eine Folge des menschlichen Instinkts wie viele heute maßgebliche Theoretiker. Er ortet einen Mangel. „Es ist die Unterdrückung unserer inneren Entwicklungsmöglichkeiten, die uns in einem Stadium festhält, in dem wir unsere volle Menschlichkeit noch nicht ausleben.“ „In uns steckt mehr“, weiß Richter. „In uns stecken auch die Antriebe, die sich in der Bergpredigt ausdrücken oder in den Leitlinien der französischen Revolution“.Den Schlüssel für ein Wirksamwerden dieser Möglichkeiten sieht Richter in der Beziehung. „Nur wenn wir einander nahebleiben, einander zuhören, kommen wir zur rechten Orientierung.“ Und in der Beziehung ist jeder einzelne gefragt und jeder einzelne wichtig.