Als Spitalsseelsorger begegne ich vielen kranken Menschen. Ihr Schicksal geht mir nahe. Ich stelle mir vor: Wie würde es mir gehen, wenn ich plötzlich ernsthaft erkranke? Ich liege im Bett. Ich kann nicht aufstehen. Ich fühle mich miserabel; und vor allem habe ich eine Diagnose, die nichts Gutes erahnen läßt. Wilde Gedanken sausen in meinem Kopf herum, quälen mich. Ich bin auf mich selbst zurückgeworfen, wie noch nie in meinem Leben. Ich bin nicht mehr Herr über mich und meinen Leib. Mein Schwäche kränkt mich noch einmal: ich kann nicht einmal auf die Toilette gehen und muß mich füttern lassen. Meine Lebenspläne sind plötzlich in Frage gestellt. Zum ersten Mal erfahre ich hautnah, daß mein Leben zerbrechlich ist, begrenzt und endlich.Sicherheit verlorenSolange ich gesund war, war ich selbstbewußt, selbstsicher. Ich konnte mich auf meine Kraft verlassen. Ich habe viel gearbeitet, habe es zu etwas gebracht und konnte mir etwas leisten. Ich hatte Ansehen. Das hat mir Wertschätzung gegeben. Jetzt liege ich da – abhängig von meinen Mitmenschen, auf sie angewiesen. Bisher bin ich im Arbeitsleben gestanden, war im gesellschaftlichen Leben integriert. Jetzt bin ich abgeschnitten von dem, was mir wichtig und wertvoll war. Ich fühle mich isoliert. Es fällt mir schwer, mich so zu akzeptieren: krank und schwach. Schweißgebadet von Angst wache ich auf mitten in der Nacht. Sogar den Tod wünsche ich mir.Getragen fühle ich mich von Menschen, die mir meine Angst und meine Not nicht ausreden wollen, sondern die meine Angst und meine Tränen mit mir teilen.Jetzt, da ich wieder gesund bin, blicke ich auf die Zeit meiner Krankheit zurück. Ich fühle zutiefst: ich bin nicht mehr derselbe. Ich habe durch die Krankheit ein Wissen erworben, das mich beunruhigt: Trauer um meine verlorengegangene Lebenssicherheit und Schwermut wegen meiner Endlichkeit und Sterblichkeit. Diese „neuen Gedanken und Gefühle“ beschäftigen mich sehr. Sie sind fixer Bestandteil meines Lebens geworden. Ich will nicht mehr so weiterleben wie bisher.Ich weiß nun, daß ich mit der Ohnmacht, mit der Hilflosigkeit und mit dem Angewiesensein auf andere rechnen muß. Erst jetzt – durch die Krankheit – habe ich das gelernt! Gleichzeitig kann ich mehr aus meiner Mitte leben.Die Krankheit hat mich nicht nur auf mich selbst zurückgeworfen, sondern sie hat mich auch auf Gott zurückgeworfen. Mir fällt jetzt auf, daß ich während meiner Krankheit lange nicht an Gott gedacht habe. Ich war so sehr mit mir beschäftigt, daß ich keine Kraft für ein Gebet hatte. Später als es mir wieder besserging, habe ich zu ihm geschrien, mich ihm entgegengeworfen, um Heilung gebeten. Als Verzweifelter habe ich viele Nachtstunden mit ihm gerungen.Wer wird mich tragen?Jetzt, da ich wieder gesund bin, geht die Auseinandersetzung mit ihm weiter. Ich kann nicht mehr so beten wie bisher. Mir drängt sich die Frage auf: Ist Gott wirklich der tragende Grund für mich, wenn meine Kraft versiegt, wenn ich ohnmächtig und dem Tod ausgesetzt bin?In den letzten Tagen entwickelt sich zunehmend eine Ahnung, daß diese Krankheit mich meinem Leben neu geöffnet hat. Sie hat vieles, was mir bisher wichtig schien, relativiert. Ich suche nach einer neuen Lebensweise, die nicht mehr geprägt ist vom Vertrauen auf die eigene Kraft und Leistung. Ich will lernen, dem Leben zu vertrauen, der Hoffnung Raum zu geben, daß ich gehalten und getragen bin – von der Kraft des anderen, des oft so dunklen und mir unverständlichen Gottes.