Ausgabe: 1998/41, Zum Nachdenken, Von guten Mächten
06.10.1998 - Kirchenzeitung der Diözese Linz
Ich kann nicht mehr so beten wie bisher. Ich habe ein Gebet gefunden, das mich seit meiner Krise sehr anspricht. Es wurde vom evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer vier Monate vor seiner Hinrichtung durch die Nationalsozialisten im Gefängnis geschrieben.Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch lebenund mit euch gehen in ein neues Jahr.Noch will das Alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last,ach, Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelendas Heil, für das du uns bereitet hast. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bitterndes Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zitternaus deiner guten und geliebten Hand. Doch willst du uns noch einmal Freude schenkenan dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,dann woll’n wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört dir unser Leben ganz. Laß warm und still die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgenund ganz gewiß an jedem neuen Tag.