Anfang der 90er Jahre, als die ersten Turbulenzen der Nach-König-Ära die Kirche in Österreich schüttelten, Bischöfe über die Köpfe der Menschen hinweg ernannt wurden und die Austrittszahlen deutlich über die 30.000-Marke kletterten, schrieb Josef Dirnbeck folgenden Text über „winterliche Zeiten“. Es seien „winterliche Zeiten“, die wir derzeit in der Kirche durchleben, sagte Karl Rahner, der Konzilstheologe, kurz bevor er, 80 Jahre alt, starb.Wer liebt schon die winterlichen Zeiten?In den winterlichen Zeiten zieht sich das Leben zurück,geht das Leben unter die Erde:ins gute Erdreich des Ackers, in den Untergrund,in die Katakomben.In winterlichen Zeitenliegt das Weizenkorn in der Erde;aber Frucht bringt es nur,wenn die winterlichen Zeitenwieder vorbei sind.In den winterlichen Zeitenist das Leben nicht tot,aber das wahre Lebengeht erst wieder im Frühling weiter. Wer liebt schon die winterlichen Zeiten,in denen das Leben ums Überleben kämpft?Wer liebt schon die Zeiten,in denen das, was gesternnoch munter geflossen ist,eisig und starr wird?Die gestern ängstlich waren,weil sie sich fragten,was denn noch gilt und Bestand hat, wenn alles in Fluß kommt,sind heute froh.Und viele von denen,die gestern frohgemut waren,fragen heute bekümmert:Was hat denn Bestand,wenn alles erstarrt?Die einen sagen:Wißt ihr denn nicht,daß die Kirche in Jahrhunderten denkt?Meint ihr, wir dürfen die Wahrheit dem Zeitgeist entsprechend verändern?Und die anderen sagen:Wißt ihr denn nicht,daß wir hier und jetzt Kirche sind und den Augenblick auskaufen müssen?Habt ihr vergessen,daß wir wie Knechte sind,die gegenwärtig sein müssen,daß der Herr noch heute kommt?Die einen sagen: Nur Bewährtes hat Wert; am längsten währtbloß das Bewahrte.Und die anderen sagen:Mein ihr, der Glaubesei Tiefkühlkost?Und die Sache Jesu verdirbt,wenn sie einfriert.Die einen sagen:So manche spontane Begeisterung gleicht der Blume auf der Wiese:Heute blüht sie wunderschön – und schon morgen wird sie in den Ofen geworfen.Und die anderen sagen:Wir sind zum Fließen berufen,nicht zur Erstarrung;unser Endzustandkann niemals ein Eisblock sein!Die einen wie die anderenbeten zum Heiligen Geistund bitten ihn um Wärme.Die einen wie die anderen beten:Komm, Heiliger Geist!Wärme, was erkaltet ist.Komm, Heiliger Geist, mach es wieder warm in der Kirche!Brich das Eis!Bring die Dinge wieder in Fluß!Angenommen, Jesus käme auf Sie zu und sagte zu Ihnen: Kehr um! Was du tust ist verkehrt.Laß alles liegen und stehen und folge mir nach.Würden Sie das tun?Oder besser gesagt: Tun Sie es?Folgen Sie ihm nach?Denn vergessen Sie nicht:Jesus sagt es tatsächlichzu mir, zu dirauch zu Ihnen Herr Bischof!Ja auch zu Ihnen sagt er:Kehr um! Josef Dirnbeck 1998Ungeschützt in einem Stall„Wir sind deswegen da, weil es uns nicht gut geht.“ Mit diesen Worten eröffnete Bischof Weber die Delegiertenversammlung in Salzburg. Auch wenn manche Schwierigkeiten der Kirche Österreichs hausgemacht sind, so haben die Spannungen tiefere Hintergründe. Karl Rahner sprach schon Mitte der siebziger Jahre von einer „winterlichen Kirche“. Er meinte damit weniger die nachkonziliaren Erruptionen und Strukturdebatten als vielmehr die Situation christlicher Religiosität in Mitteleuropa. Knapp vor seinem Tod 1984 sprach er ähnliche Sorgen an wie Weber: den Rückgang bei Priester- und Ordensberufen, bei Taufen und Trauungen; den Verlust an „Richtwerten“ für ein ganzes Leben; die wachsende Entkoppelung von Religiosität und Kirche … Die Reaktion auf diese Entwicklung führte zu den tiefen und anhaltenden Spannungen. Während die einen eine Anpassung der Kirche in ihren Strukturen und ihrer Verkündigung an die radikalen geistig-kulturellen Veränderungen suchten, fürchteten die anderen den Verlust der Identität der Kirche und eine Verwässerung der Botschaft Jesu. Rahner, der die Kirche zeitlebens liebte, versuchte diese Spannung aufzulösen, indem er eine radikale Hinwendung zum Kern christlichen Gottesglaubens ebenso forderte wiemehr Bereitschaft zu Veränderungen. Eine Thermoskanne, die den Inhalt noch so schön warm hält, strahlt nicht nach außen, sagte er einmal.Die Botschaft von Weihnachten weist einen Weg in den Frühling: In Jesus hat Gott uns in das Gesicht seiner unermeßlichen Liebe schauen lassen. Dieses Kind ist die radikalste Herausforderung an den Menschen – aber es kam nicht in einem fest geschlossenen Haus auf die Welt, sondern in einem Stall, der nur wenig Schutz gegen die Welt draußen bot, dafür aber offen für alle war, die sehen wollten.