Cecily Corti betreibt vier Einrichtungen für Obdachlose in Wien. Verheiratet war sie mit dem Regisseur Axel Corti. Soeben hat sie ein Buch über ihre wechselvolle Lebensgeschichte herausgebracht. Ein Gespräch über Ohnmacht, Sehnsucht und die Entscheidung, im Kleinen etwas zu verändern.
Ausgabe: 2015/38, Cecily Corty, Sehnsucht, Obdachlos, Wien
15.09.2015 - Das Gespräch führte Christine Grüll
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie sich angesichts der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren ohnmächtig gefühlt haben und handeln wollten. Warum gerade im sozialen Bereich? Cecily Corti: Die große Politik können wir nicht beeinflussen, das war mir klar. Was kann ich also tun, wie kann ich persönlich eine Veränderung bewirken? Im Sitzen in der Stille in der Tradition des Zen erlebe ich die Verbundenheit mit allen Menschen und mit allem, was mich umgibt. Da spüre ich auch das Ausmaß von Leid, das der Mensch dem Menschen zufügt. Wie gehen wir miteinander um? Wie unbewusst fügen wir einander Verletzungen zu? Wie entstehen daraus Spannungen, Konflikte und in allerletzter Instanz Kriege? Da wollte ich ansetzen. Persönlich in meinen Beziehungen etwas verändern, das wirkt. Wir alle haben ein Potential der Zerstörung in uns, ebenso die Möglichkeit, den göttlichen Samen, der in uns angelegt ist, zum Leben zu verhelfen. Diese Überzeugung wollte ich in meinem Alltag zum Ausdruck bringen.
Unsere Zeit ist sehr beherrscht von Angst. Wie sind Sie mit Ihrer eigenen Angst umgegangen? Corti: Indem ich sie konfrontiere. Mich ihr aussetze. Wovor habe ich Angst? Was ist meine allergrößte Angst? Was bedroht mich existentiell? Ganz selbstverständlich tauchen da auch die Werte auf, die mir kostbar sind. Und auch die Kraft, mich für sie einzusetzen. Sie zitieren Schiller: „Was ist das Schwerste von allem? ... zu sehen, was vor den Augen liegt.“ Wie kann man da achtsamer werden? Corti: Ganz klein beginnen. Einfach darauf achten, worüber man immer wieder stolpert. Der tiefsten Sehnsucht auf die Spur kommen und dieser Spur folgen. Wie kann ich das Geschenk des Lebens ehren? Wenn es zu Ende ist, was würde ich bedauern, nicht gemacht zu haben? Aus Feigheit oder aus Bequemlichkeit. Die Qualität der Beziehung wurde mir dabei ganz wesentlich. Dieser Aspekt ist uns in der Arbeit mit den Obdachlosen ein zentraler Aspekt. Wie begegne ich den Menschen, ohne den Anspruch, helfen zu wollen oder gar barmherzig zu sein? Es geht um Präsenz, zuhören, Anteil nehmen, absichtslos geben, ohne Erwartung, ohne Abhängigkeiten zu schaffen. Ich denke, die Kirche hätte da eine wichtige Aufgabe: die Menschen zu unterstützen in ihrer inneren Not, in der Orientierungs- und Ratlosigkeit, vor allem ohne erhobenen Zeigefinger. Die Botschaft Jesu ist doch unendlich befreiend. Ich halte es nicht aus, wenn immer vor allem von den Geboten, von Schuld und Sühne, von gut und böse, vom Lohn im Himmel die Rede ist. Hier und jetzt könnten wir den Himmel schmecken.
Ihr Buch ist durch Gespräche entstanden, die sie mit der Regisseurin Jacqueline Kornmüller geführt haben. Was war der rote Faden? Corti: Es gab da keinen roten Faden. Vielleicht hat er sich durch die Gespräche ergeben. Ich schätze Jacqueline als Künstlerin, ihre Kreativität, ihr Engagement. Sie hat es mir leicht gemacht zu erzählen. Da war immer großer Respekt spürbar. Sie hat einfach zugehört. Wir haben uns aufeinander eingelassen. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich da etwas preisgebe, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Natürlich ist es manchmal eine Gratwanderung. So ist das Leben. Ich denke, das kann auch Mut machen. Wir alle haben Hindernisse zu bewältigen, manchmal sind sie so groß, dass wir meinen, daran zu scheitern. Aber nur im Stolpern und im Hinfallen lernen wir. Wie die kleinen Kinder wenn sie gehen lernen, sie fallen hin, stehen auf und gehen weiter.
Wichtig ist vor allem, aus allen Fehlern und Mühseligkeiten zu lernen, sich mit dem Gemeisterten nicht zu identifizieren, sich darüber zu freuen und den nächsten Schritt zu tun. Da ist die VinziRast und unser Alltag mit den Obdachlosen ein unentwegter Lehrmeister. Wir werden in Situationen geführt, in denen wir gar nicht anders können als zu lernen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Zur Person
Cecily Corti, geboren in Wien, verbrachte ihre ersten Jahre in Slowenien. Sie erlebte Flucht und Vertreibung, ihr Vater wurde ermordet. Mit 24 Jahren heiratete sie den Regisseur Axel Corti, mit dem sie drei Söhne bekam. Jahre nach dem Tod ihres Mannes begann ihr intensives soziales Engagement. Sie betreibt vier Einrichtungen, in denen Obdachlose Unterkunft finden. Für ihr Engagement wurde sie u.a. mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und 2013 mit dem Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte geehrt.
Zum Buch
In ihrem Buch, aufgezeichnet von Jacqueline Kornmüller, erzählt Cecily Corti von ihrem Lebensweg. Dabei kommen auch jene existentiellen Fragen zur Sprache, die sie bei ihrer ganz persönlichen Entwicklung begleitet und letztendlich dazu geführt haben, sich mit aller Kraft für andere einzusetzen. Cecily Corti, Man muss auf dem Grund gewesen sein, Christian Brandstätter Verlag 2015, 160 Seiten, EUR 19,90.
Am Montag, 9. November 2015, 19.30 Uhr, ist Cecily Corti zu Gast im Kepler Salon Linz, Rathausgasse 5.